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■ Zur Kampagne für die doppelte StaatsbürgerschaftDie Million ist voll

Es kommt ja selten genug vor, aber wenn es denn doch mal passiert, sollte man Erfreuliches auch gebührend würdigen: In knapp acht Monaten hat eine in Berlin gestartete, überparteiliche Initiative es geschafft, eine Million Unterschriften für die Einführung einer doppelten Staatsbürgerschaft und die Abschaffung des Blutrechts im Staatsbürgerschaftsrecht zu sammeln. Wer meint, das ist nichts Besonderes, sei daran erinnert, daß es nur einmal in der jüngeren Geschichte der Republik gelungen ist, mehr als eine Million Unterschriften zu sammeln: Anfang der achtziger Jahre nämlich, als man über einen erheblich längeren Zeitraum Stimmen gegen die Nachrüstung sammelte.

Nun kann man sich, ähnlich wie bei den Lichterketten, darüber streiten, welchen Wert eine solche Unterschrift hat, ob sich daran ein gesellschaftlicher Trend ablesen läßt und ob die politische Sphäre dadurch überhaupt beeindruckt werden kann. Sicher, eine Unterschrift auf eine Liste zu setzen ist eine der politischen Demonstrationen, die am wenigsten kostet (Zeit, Mühe, Risiko, Zivilcourage etc.). Trotzdem macht die schiere Masse aber doch klar: ein solches Ergebnis konnte nur erzielt werden, weil sich viele, viele Leute dafür engagierten: individuell und als MitarbeiterInnen in Organisationen wie beispielsweise Gewerkschaften und Kirchen, die dann auch die Kampagne unterstützten.

In Zeiten, in denen Menschen wegen ihrer Herkunft und Hautfarbe ermordet werden, ist das ein nicht zu unterschätzendes Signal. Ein Signal, welches zweifellos auch in Bonn angekommen ist. Alle Parteien wissen, daß der Status quo nicht aufrechtzuerhalten ist, die weitere Ausgrenzung der Einwanderer die bundesdeutsche Gesellschaft tatsächlich ethnisch spalten würde und daß deshalb dringend praktische Schritte erforderlich sind. Dem steht bislang ein ideologischer Mainstream in der Union entgegen. Da die Nation gerade wieder in Mode kommt und in rechten Kreisen nur mit den Adjektiven deutsch, russisch, serbisch etc. gedacht wird, sperren sich Partei- und Fraktionsführung gegen eine Abschaffung des Blutrechts. So wichtig diese Auseinandersetzung für die geistige Verfassung der Republik ist, für viele Einwanderer geht es auch um praktische Fragen, die durch die Zulassung einer doppelten Staatsbürgerschaft als Übergangsmöglichkeit gelöst werden könnten.

Das Verdienst der Initiative für die doppelte Staatsbürgerschaft ist bereits jetzt, daß das Thema der Zukunft der Einwanderer nicht sechs Wochen nach einem Mordanschlag wieder in Vergessenheit gerät, sondern politisch in der Diskussion bleibt. Kohl, die Bundesregierung insgesamt, aber auch die anderen Parteien werden permanent daran erinnert, daß sie eine Bringschuld haben. Jürgen Gottschlich

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