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Zur Genua-BerichterstattungEs genügt der Verdacht

betr.: „Ohne Pass kein Gipfel-Spaß“, taz vom 17. 7. 01

Bewegungsfreiheit ist ein Grundrecht: Nirgendwo bleiben müssen, nirgendwohin gehen müssen. Herrschende Rechtsverdreher machen daraus nach Bedarf: Ein Grundrecht auf (Aus-)Reisen gibt es nicht. Dafür genügt schon der Verdacht auf „erhebliche Gefährdung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland“. Verdächtigt kann aber nun jeder werden. Deswegen wundert es mich besonders, dass zum Beispiel Fischer und Scharping weiter frei reisen dürfen. Es besteht nicht nur der Verdacht, sondern die Gewissheit, dass sie ihre diplomatischen Reisen genutzt haben „zur Gefährdung von Belangen der Bundesrepublik Deutschland“, zur Anstiftung von Bombenabwürfen auf Zivilpersonen. Das könnte bei der nächsten regierungseigenen „humanitären Aktion“ doch wieder passieren. Aber dann zücken sie vermutlich ihre Diplomatenpässe. Die machen immun gegen Gerechtigkeit. Undiplomatische Menschen , die öffentlich aufstehen gegen Verfügungsgewalt und Profit als oberste Leitlinie politischen Handelns, müssen selbst sehen, wie sie zu ihrer Freiheit kommen – notfalls ohne Pass und ohne Beistand ihrer „diplomatischen Vertretung“.

ILONA JOERDEN, Goehrde

betr.: „Todesopfer in Genua“ u. a., taz vom 21. 7. 01

Schon während der Vorbereitungen für den G-8-Gipfel in Genua wurde deutlich, dass vonseiten der italienischen Staatsmacht der Tod von DemonstrantInnen einkalkuliert war. Das ungestörte Treffen von acht alten Herren, die sich selbst als die politischen Führer der Welt betrachten, ist es wert, die ansonsten gebetsmühlenartig wiederholten Formeln demokratischer Rechte und Freiheiten außer Kraft zu setzen und dabei sogar den Tod von Menschen billigend in Kauf zu nehmen.

In Genua demonstrierten aber weit über hunderttausend Menschen – oder wie dies in den letzten Tagen oft zu lesen war: sechs Milliarden gegen acht. Und letztere acht sind es, die jetzt vor die Öffentlichkeit treten und verkünden werden, dass der ermordete Demonstrant ein Gewalttäter gewesen sei und damit doch eigentlich selbst schuld an seinem Tod wäre. Dabei steht das Recht und die legitime Weltsicht (die nicht zuletzt auch durch die Medien getragen ist) auf ihrer Seite. Doch wer die Bilder von den Ereignissen in Genua gesehen hat, kann unschwer erkennen, dass es sich hier nicht um Notwehr seitens der Polizei gehandelt hat, sondern die Szene weit mehr einer Hinrichtung glich.

Dabei ist es fehl am Platz, das schon seit Wochen kursierende Gespenst von den „Polit-Hooligans“ oder „Gipfel-Chaoten“ heraufzubeschwören. Die Gewalt, die bei den weltweiten Protesten in Erscheinung tritt, ist selbst nur Spiegelbild und Produkt dieser Welt. Auslöser für die Proteste ist die G 8 und sind die herrschenden Verhältnisse allgemein, auch wenn immer wieder behauptet wird, es handele sich hier nur um ein paar fehlgeleitete Jugendliche, die einfach mal die volle Härte des Staates zu spüren bekommen müssten. [. . .]

Auch die Todesschüsse der italienischen Polizei sind Teil dieser Gewaltverhältnisse und sollten als Teil der Versuchs gesehen werden, die bestehenden Herrschaftsverhältnisse mit allen Mitteln aufrechtzuerhalten. [. . .]

KAI MARQUARDSEN, Göttingen

Da kommt man erschöpft nach Hause aus Genua, hat schon müde registriert, dass Bild am Sonntag wieder nur über die Krawalle berichtet, und freut sich auf die taz: Die muss ja schreiben, wie’s gewesen ist. Man macht den Briefkasten auf und sieht: Krawallbilder auf der ersten Seite, friedliche Demonstranten als Nebensache, die inhaltlichen Ziele der Bewegung im Hintergrund.

Sind die seit Donnerstag täglich friedlich demonstrierenden Menschen für eine menschlichere Globalisierung niemandem aufgefallen? Hat denn wirklich keiner gemerkt, dass Gewalt von der Mehrheit der Demonstranten abgelehnt, Gewalttäter aktiv aufgehalten wurden? Was bewirkt eine solche Berichterstattung, gerade in der taz? [. . .]

Wir haben Genua anders erlebt. Wir haben friedliche Demonstranten gesehen, beinahe in Volksfeststimmung, und uns zuwinkende Omis und Familien auf den Balkons von Genua.

KATRIN ZÖFEL, Stuttgart

Es ist immer wieder gut zu wissen: Wenn Polizisten Demonstranten, egal ob in Berlin 1967 oder in Genua 2001, egal, ob Anti-Schah-Protestler Benno Ohnesorg oder einem Anti-Globalisierungsprotestler Carlo Giuliani in den Kopf schießen, dann geschieht das immer in Notwehr. Gut, dass man sich auf den Fortbestand europaweiter Polizeitraditionen verlassen kann.

THOMAS KLIKAUER, Sydney, Australien

Die Demonstrationen für Veränderungen seit 1968 verkennen den realen Gegner in der realen Welt: Polizei, Justiz, Secret Services. UMBERTO HAENSLER, Zürich, Schweiz

Da ich selbst während der Proteste in Genua weilte und somit selbst in den Genuss eines direkten Eindrucks der ablaufenden Geschehnisse kommen konnte, hat mich die Berichterstattung der taz doch erheblich gestört. Insbesondere gefiel mir die strikte Trennung zwischen so genannten „friedlichen Demonstranten“ und „den Randalierern“ ins Auge. Gerade von der taz hätte ich aufgrund ihrer Geschichte eine differenziertere Darstellung erwartet. Ich erwarte nicht von der taz, dass sie die Gewalt der Demonstranten als solche gutheißt, aber mit der strikten Trennung zwischen zwei angeblich existierenden Gruppen, die ich persönlich als solche in Genua nicht wahrnehmen konnte, spricht sie den militant vorgehenden Demonstranten jeglichen politischen Anspruch ab – und leistet damit einer harten, undemokratischen Begrenzung des Demonstrations- und Reiserechts geradezu Vorschub. [. . .] LISELOTTE MEYER, Hanau

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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