■ Zur Entsendung deutscher Tornados nach Bosnien: Gewaltverzicht gegen Verbrecher?
Wer von deutscher Bosnien-Politik redet, muß anscheinend nicht von Bosnien reden. Sätze wie „Deutsche Soldaten sind schon einmal im früheren Jugoslawien gewesen, einmal reicht“ insinuieren die Gleichsetzung von Hitler-Wehrmacht und Bundeswehr, von nazistischem Krieg und UNO-Einsätzen. Die Gewaltverzicht fordern, unterstellen Andersmeinenden Kriegslüsternheit und diffamieren Nato-Einsätze im UNO-Auftrag als „Kriegführung“.
Seit Beginn des Krieges in Bosnien hat der Sicherheitsrat zunächst Embargos, dann auch militärische Zwangsmaßnahmen verhängt: die Durchsetzung des Wirtschaftsembargos gegen Rest-Jugoslawien, die Durchsetzung des Flugverbots über Bosnien, die Maßnahmen zum Schutz der bosnischen Sicherheitszonen und die Einrichtung der von schweren Waffen freien Sperrzonen um Sarajevo und Goražde. Zwangsmaßnahmen wurden erst wegen beständiger Verletzung der UNO-Resolutionen ergriffen. Der humanitäre Auftrag war deshalb stets vom Scheitern bedroht, weil die Karadžić-Serben humanitäres Recht und Kriegsvölkerrecht aus Prinzip negieren.
Ein Einsatz von Kampfflugzeugen zum Schutz humanitärer Transporte wurde auf Initiative der USA 1993 erwogen, doch nie realisiert. Mit Lebensmittelabwürfen über den ostbosnischen Enklaven versuchten die USA seit 1993, die serbischen Landblockaden zu unterlaufen. Auch dies fand seine Grenzen – wegen der seit Herbst 1994 von Rußland gelieferten modernen Luftabwehrraketen. Doch humanitäre Lufteinsätze über Bihać hätten durchgesetzt, die serbische Luftabwehr hätte unschädlich gemacht werden können. Die deutschen Tornados besitzen eine elektronische Luftabwehrerkennung (ECR), so daß sie – im Unterschied auch zu US-Maschinen – Radarstellungen nicht nur stören, sondern zerstören können. Doch für Bihać sah deutsche Politik damals keinen Handlungsbedarf.
Der Abzug der schweren Waffen um Sarajevo im Frühjahr 1994 war ein Erfolg friedenerzwingender UNO-Politik und der Nato-Drohung mit Luftangriffen. Wer dies vergißt und – wie Rudolf Scharping und Joschka Fischer – die serbischen Geiselnahmen der Blauhelme zum Argument gegen Nato-Luftangriffe macht, beugt sich erpresserischer Gewalt. Der hätte auch die deutsche Beteiligung an der humanitären Luftbrücke für Ostbosnien ablehnen müssen – aus Angst vor den Drohungen der Karadžić-Serben, deutsche Flugzeuge abzuschießen.
Das jetzige Angebot der Bundesregierung an die Nato erlaubt den Tornado-Einsatz weder zur Durchsetzung von humanitären Flügen noch zur Durchsetzung des Flugverbots. Heute geht es nur mehr um die Unterstützung einer Schnellen Eingreiftruppe, welche die UNO-Soldaten besser schützen soll und für welche jeder offensive Auftrag zur Freikämpfung der humanitären Versorgungsrouten ausgeschlossen wurde. Ein Minimalauftrag, aber für die Lafontaines und Fischers noch zuviel.
Humanitärer Einsatz in Bosnien ist ohne gewaltsamen Schutz nicht durchführbar. Wer sich dieser Einsicht versagt und auf mögliche friedenerzwingende Maßnahmen ganz verzichten will, toleriert nur die Gewalt der Kriegsverbrecher und wird, wie die UNO- Führung dies in Bosnien demonstriert hat, mehr und mehr erpreßbar. Johannes Vollmer
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen