■ Zur Einweihung der Neuen Wache: Leid ist nicht gleich Leid
Die Einweihung der Neuen Wache zur Zentralen Gedenkstätte der Bundesrepublik soll verschoben werden, fordert die Berliner Kulturverwaltung, mindestens so lange, bis die Rheinländer endlich an der Spree sitzen. Recht hat sie, bloß sollte der Eröffnungstermin nicht von Umzugswagen abhängen, sondern von der tiefen, Konsequenzen verlangenden Einsicht in die deutsche Schuld. Dies wird allerdings noch einige Jahre länger dauern, denn im Augenblick ist völlig unklar, was die Menschen in der Bundesrepublik heute noch gemeinsam haben. Die Vergangenheit anscheinend nicht.
Die Debattenbeiträge des Ex-Wohnungsbauministers Oscar Schneider zeigen unüblich scharf, wie tief die Gräben zwischen der Kriegs- und Nachkriegs-, sowie der Opfer- und Tätergeneration heute noch sind. Oscar Schneider, seit Anfang der achtziger Jahre aktiver Streiter für ein Zentrales Denkmal, gehört einem Jahrgang an, der sich immer selbst als Opfer begriffen hat. Als Schüler kämpften sie im Volkssturm oder wurden zu Kanonenfutter an längst verlorenen Fronten. Alle Protagonisten der bald eingeweihten Zentralen Gedenkstätte gehören dieser Generation an, die Freunde und Brüder verloren hat. Für sie ist die individuelle Trauer über den Verlust gleichzusetzen mit dem Leid jüdischer Nachkommen über die Ermordung eines ganzen Volkes. Die Schuldfrage spielt beim Gedenken keine Rolle, oder, so Schneider wörtlich: „Die Richter nach dem Tode tragen keine englischen, deutschen oder russischen Roben.“ Nichts könnte schärfer die Unfähigkeit der Kriegsgeneration belegen, die Debatte darüber zu führen, wie in Zukunft der Vergangenheit gedacht werden soll. Daraus wären zwei Konsequenzen zu ziehen: entweder die Debatte weiterzuführen und das Denkmal nicht einzuweihen; oder, wie der Zentralrat der Juden es fordert, mehrere Denkmäler zu planen und zuzugeben, daß die Vergangenheit unteilbar ist. Anita Kugler
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