■ Zur Einkehr: Bahnhof Worpswede
Es war an einem jener lauen Frühlingsabende, wie sie so selten sind im Lande. Jetzt soll noch ein beschauliches Plätzchen im Grünen her, um einem blutroten Sonnenuntergang mit Würde ins Auge schauen zu können. Das gibt es. Im „Bahnhof Worpswede“ und vor allem davor. Wir sitzen am lange verwaisten Schienenstrang, dort, wo einst ein Bahnsteig war.
Der von Heinrich Vogeler gestaltete Bahnhof ist umgewandelt in ein Drei-Klassen-Restaurant, je nach Gusto sitzt man von elegant bis rustikal, die Karte ist freilich die gleiche.
Doch wir bevorzugen das – noch verlassene – Perron und lassen uns dort einen der in vier Variationen angebotenen und immer köstlichen gefüllten und überbackenen Mohnpfannkuchen schmecken. Mal sind sie mit Shrimps gefüllt, mal mit Champignons, Spinat oder Hackfleisch.
Und immer sind es großzügig dimensionierte, gut gefüllte, appetitliche Fladen, umhüllt von einem raffinierten Eierkuchenteig. Geschmacklich auf den Punkt gebracht durch die schwarzen Mohn-Pünktchen im Teig (für die man dann auch gerne den Preis zwischen 13 und 17 Mark bezahlt).
Und während nun also die rote Sonne nicht im Meer, aber im Moor bei Worpswede versinkt (Naturschutzgebiet Breites Wasser), verbindet sich das Zwitschern der Vögel mit dem Duft unseres Mohnpfannkuchens ... Ein synästhetisches Erlebnis, gewissermaßen. Das wir zu vervollkommnen suchen durch das Dunkelbier „Rommeldeus“. Wie das schmeckt? Statt blumiger Worte ein Glas zur Probe vom Wirt – eine freundliche Geste, so selten wie o.g. Frühlingsabende.
Um über die Tageskarte Auskunft zu geben, muß der junge Herr Ober immer wieder in die Küche laufen, zwecks Nachfrage. Und ausdrücklich sei gesagt: Er tat's ohne Anflug von Genervtheit!
So bekamen wir auch noch eine liebevoll anzusehende Scholle serviert nebst individuell zusammengestellter Beilage.
Da alles frisch zubereitet wird, sollte man sich auf Wartezeiten (sie bleiben im Rahmen des Üblichen) gefaßt machen, heißt es auf der Karte, die keine kulinarischen Höhenflüge verspricht. Hier kennt der Koch seine Grenzen und sieht keinen Grund zur Grenzverletzung, weil er diesseits der Grenzen überzeugt.
Alexander Musik
Worpswede, Bahnhofstr., tägl. 12-1 Uhr nachts
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen