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■ Zur EinkehrHein Heuer's Laufbuchse

Was für ein abscheulicher Name für eine so idyllisch gelegene Lokalität! Aber mit Hein Heuer am Deich ist ein Referenz-Objekt gefunden, was den Sülzen-Standard angeht (an dem sich der Sülzen-Krieg, ausgetragen zwischen Weser Kurier und dem wiedereröffneten „Kuhhirten“, messen lassen muß). Die füllige Bedienung riet ganz verbindlich und aufrichtig zur Hausmacher Sülze, und ihr Wesen schien unfähig zur Hausmacher-PR. Zwei rustikale Scheiben hausgemachter Sülze „an“ noch rustikaleren Bratkartoffeln und einer Soße, die einen robusten Magen voraussetzt, erwarten uns. Dafür macht die Sülze wirklich einen hausgemachten Eindruck, keine Knorpel, keine Gelatine-Orgie, keine industriell feingekutterte Ware. Während man der Speisen harrt, singen die Vögel, quaken die Kröten, tratschen die Gäste, die Stammgäste. Und das sind die, die nicht auf der beschaulichen Terrasse am Deich sitzen, sondern im miefigen Innern von „Hein Heuer's Laufbuchse“. Sie sitzen an den hölzernen Häßlichkeiten, die schätzungsweise in 69 Prozent aller deutschen Pinten zu Hause sind. Am „Joker“-Spielautomaten kreisen die Räder, eine überdimensionierte Jukebox wirft neonbunte Blitze aus dem Fenster. Der Zapfer zapft gepflegte Biere. – Soll ich mal sagen, wie alt ich bin? entfährt es, in alkoholisiertem Timbre, einer älteren Dame von drinnen. – Woll'n wir gar nicht wissen, raunt es schnöde zur Antwort. Solchen verbalen Schlagabtausch, der einem die Würze zur Sülze ist, mag man hart nennen, doch hier gehört er zum guten Ton. Niemand fühlt sich dadurch angegriffen, keine hektisch verrückten Stühle, keine umgeworfenen Gläser, tropfende Flüssigkeiten, Wut. Wir halten uns die Ohren zu, lange, lauschen dann wieder: Da sind die gut gemeinten Beschimpfungen unter den Zechern immer noch da. Und während die groben Laute durchs geöffnete Fenster schallen, schaut man groß den Borgfelder Deich entlang und kontempliert: Das bierselige Palaver drinnen, das kreatürliche Quaken draußen, die freundliche Bedienung als Bindeglied.

Also geht es zu in Hein Heuers Welt, in der man am besten aufgehoben ist, wenn man sich an der Peripherie aufhält. Es muß ja schließlich niemand drinnen sitzen, sommers.

Draußen aber kommen dann und wann ein paar stille nächtliche Fahrradfahrer vorbei und wundern sich, daß man – Mitternacht dräut – noch herzlich bedient und beraten wird.

Alexander Musik

Borgfelder Deich 22, tägl. ab 16 Uhr, Sa/So ab 11 Uhr

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