Zum Umgang mit Behinderten: Es lohnt die Mühe
betr.: „Pflege geht durch den Magen“ (Serie: Vom Selbstverständlichen im Umgang mit Menschen) von Peter Fuchs, taz vom 2. 5. 01
Seit einiger Zeit verfolge ich mit großer Aufmerksamkeit die Reihe zum Umgang mit Behinderten. Ich kann die Schlussfolgerungen nur bejahen!
Zum heutigen Artikel: Peter Fuchs beschreibt, wie nach einem Ausflug ins Lokal die Betreuer sich vor den Behinderten darüber auslassen, wie ungenießbar das Essen war: „... wird von dem Fiasko erzählt, in Gegenwart der Behinderten, versteht sich, die das aber nicht hören oder nicht verstehen.“
Wer sagt, dass sie es weder hören noch verstehen? Allein der Fakt, dass sie sich nicht äußern, ist kein Indiz dafür. Mein Sohn hat ein Autistisches Syndrom; wenn über ihn in seinem Beisein in der Art geredet würde, wäre er dermaßen verletzt und getroffen, dass er nichts dazu sagen könnte. Auch später nicht; es würde ihn nur darin bestärken, in seinem Selbsthass und seiner Selbstdestruktivität.
Behinderte können sich eventuell nicht so ausdrücken wie Nichtbehinderte; dafür haben sie aber sehr oft die sehr ausgeprägte Fähigkeit, Stimmungen und Tendenzen zu erfühlen. Wäre es nicht möglich, dass Behinderte eventuell einer gewissen Resignation anheim fallen, da sie wissen, dass sich keiner die Mühe macht, ihnen tatsächlich zuzuhören?
Letztendlich sollten sie genauso wie alle anderen mit Respekt und Achtung behandelt werden; wozu auch das Eingehen auf ihre Bedürfnisse und Wünsche, genauso wie das wirkliche Zuhören gehört. Das ist nicht immer einfach, wie ich aus Erfahrung weiß, aber es lohnt die Mühe. CATHERINE GENT, Nesse
[...] Ich habe 13 Monate lang Schwerstbehinderte gefüttert. Zugegeben, das angelieferte Essen war oftmals fleischlastig und entsprach nicht immer meinen Vorstellungen. Auch ich habe mir regelmäßig eine Pizza als Ersatz bestellt. Doch niemals würde ich einem Behinderten Essen reinstopfen, wenn ich weiß oder merke, ihm schmeckt es nicht. Für die extra Pizza fehlt leider das Geld. Aber einen Joghurt oder einen großen Obstteller konnte ich meinen Behinderten immer anbieten. Gemeinsam gegessen haben wir. In Notfällen. Das hatte seinen Grund. Es ist einfach nicht möglich, sich gleichzeitig auf mehreres zu konzentrieren. Der Behinderte hat ein gutes Recht darauf, durchgängig zu essen. Wenn sich der Betreuer nach jedem – sowieso meist winzigen – Bissen kurz wegdreht, um selbst zu speisen, wird dies viele Betroffene verwirren, nerven oder gar ablenken. Bei Spastikern führt dies dazu, dass sie nicht voll bei der Sache sind – das meiste in den Mund Geschobene landet dann umgehend in hohem Bogen im umliegenden Gelände (gemäß Murphy natürlich im Teller des Betreuers). Es hat also nichts mit Ekel vor Sabber, Kotze, Rotze oder sonstigen Körperflüssigkeiten zu tun, wenn ich im Nachhinein esse. Und selbst wenn. Der Arzt isst das Steak auch nach der Operation.
NORBERT SCHOTT, Dresden
[...] Ich kann auch noch nach 13 Jahren Sozialtherapie und diversen Annäherungsversuchen keine Kotze sehen. Weder bei einem behinderten noch bei einem nichtbehinderten Menschen. Nicht mal bei meinen Kindern. Auch wenn KollegInnen und Lebensgefährtin das tolerieren – sollte ich nicht vielleicht aus moralischen Gründen eine Umschulung ins Auge fassen, sagen wir zum Beispiel als Journalist? PETER BENNERSCHEID, Kirchlinteln
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen