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■ Zum Umgang der Polizei mit RechtsradikalismusFür Recht(e) und Ordnung

Die Unterlassungen deutscher Polizisten gegenüber rechtsradikalen Akteuren haben auch Kritiker aus den eigenen Reihen auf den Plan gerufen: „Zu konstatieren sind zumindest Defizite in der Reaktionsschnelligkeit“, räumen Analytiker der Polizei-Führungsakademie in Münster-Hiltrup in ihrer Studie „Fremdenfeindliche Gewalt und die Rolle der Polizei“ ein – um im gleichen Atemzug zu betonen: „Überprüfbare Belege für eine große Anfälligkeit der Polizei gegenüber rechtsradikalen Orientierungen und Organisationen, wie sie häufig und mit leichter Hand unterstellt werden, gibt es dagegen nicht.“

Anders als in der Weimarer Republik steht die bundesdeutsche Polizei tatsächlich auf dem Boden der „FDGO“ – meistens zumindest. In den letzten fünfundvierzig Jahren hat sich eine „rechtsstaatliche domestizierte und parlamentarisch kontrollierte Polizei“ (Horst Meier) entwickelt, die sich mehrheitlich zur Demokratie bekennt. Gerne werden Ermittlungsverfahren gegen vereinzelte rechtsextremistische Polizeibeamte von den Behörden als Beweis angeführt, daß man alles im Griff hat und die vereinzelten „schwarzen Schafe“ stets umgehend aus der Herde der unbescholtenen Lämmer entfernt.

„Die Polizei hat halt die gleichen Ängste und Vorurteile wie die Bevölkerung. Sie ist wie ein Fisch im Wasser, aber deswegen nicht gleich rechtslastig und fremdenfeindlich.“ Die vom Potsdamer Polizeipräsidenten Graf von Schwerin auf den Punkt gebrachte Formel von der Polizei als Spiegelbild der Gesellschaft hat sich in der offiziellen Sprachregelung durchgesetzt. Sie dürfte jedoch ebensowenig der Wirklichkeit nahekommen wie die beliebte Demonstrationsparole „Deutsche Polizisten/ Mörder und Faschisten“.

Noch 1989 waren aus polizeiinternen Kreisen ganz andere Töne zu hören. Hartmut Preuß, Geschäftsführer der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Bayern, ging im Mai 1989 davon aus, daß mehr als die Hälfte der Sicherheitskräfte in Bayern zur Schönhuber-Partei tendierten. Und Volker Pfarr, Mitglied der Arbeitsgemeinschaft „Sozialdemokraten in der Polizei“, fand im gleichen Jahr, während der kurzen ordnungspolitischen Entkrampfung unter der rot-grünen Koalition in Berlin, ungewohnt klare Worte: „Die Polizei ist von Natur aus ein konservativ gestrickter Apparat. Das hat mit Traditionen, mit Erziehung, mit dem Berufsbild zu tun. Die Polizei neigt dazu, den Begriff ,staatstragend‘ mit konservativ bis reaktionär zu übersetzen. Polizeibeamte sind deshalb auch besonders gut zu handhaben von Regierungen, die rechtsorientiert sind. Es sind Verhaltenselemente zu erkennen, die man als vorauseilenden Gehorsam bezeichnen könnte.“

Damit ist ein Mechanismus beschrieben, der vor allem dann in Gang gesetzt wird, wenn – wie in der zugespitzten Anti-Asyl-Kampagne – größere Teile der politischen Eliten selbst nach rechts driften. Kritische Reflexionen über den eigenen Berufsstand wie die von Volker Pfarr werden heute in der Regel nur noch off the records geäußert. Wer sich Mitte der Neunziger zu weit aus dem Fenster hängt, schadet seiner Karriere. So löste Eckart Lazai, Polizeibeamter und Fachlehrer im Referat für politische Bildung der Berliner Polizei, einen mittelschweren Eklat aus, als er im September 1992 auf einer Tagung des Europarates in Straßburg offen über ausländerfeindliche Tendenzen in der Polizei sprach.

Trotz aller Demokratiedefizite wäre es jedoch falsch, die Polizei unter Generalverdacht zu stellen. Es gibt hinreichend Beamte, die nicht nur Ausländer vor neonazistischen Übergriffen schützen wollen, sondern die sich darüber hinaus auch in ihrer Freizeit entsprechend engagieren. Wenn also nicht die Rechtslastigkeit eines Teils der Beamtenschaft für das ein ums andere Mal klägliche Scheitern der Ordnungskräfte verantwortlich gemacht werden kann, was dann?

Die Polizisten in der Bundesrepublik sind nur mangelhaft auf die organisierte und autonome rechte Gewaltszene vorbereitet. Über Jahre ignorierten die Polizeiführung und das BKA das Anwachsen fremdenfeindlich motivierter Straftaten, die seit 1982 immerhin um mehr als das Zwanzigfache zunahmen. Verdeutlichen läßt sich dies mit einer Auswertung der Polizeilichen Kriminalstatistik (PKS). Die PKS ist – trotz all ihrer Mängel – unentbehrliche Arbeitsgrundlage für die Beamten vor Ort. Sie zeigt allgemeine Trends auf, beschreibt Tätermilieus und liefert das Rohmaterial für die Schwerpunktsetzung der Kriminalitätsbekämpfung.

Das Augenmerk, das die PKS den verschiedenen Kriminalitätsdelikten schenkt, ist gleichzeitig ein Spiegelbild dessen, was von der Gesellschaft als besonders schützenswerte Güter und Werte eingestuft wird. Im Bereich der Raubdelikte liefert die PKS zum Beispiel ein differenziertes Täterprofil nach Alter, Geschlecht, nationaler Zugehörigkeit und aufenthaltsrechtlichem Status der tatverdächtigen Ausländer.

Vergeblich sucht man in der PKS nach dem Deliktbereich mit den höchsten Steigerungsraten der letzten zehn Jahre. Fremdenfeindliche, rassistische und neonazistische Gewalttaten wurden in der PKS bis in die jüngsten Tage stiefmütterlich behandelt. Denn in der PKS wurden unter der Rubrik „Staatsschutzdelikte“ nur Straftaten berücksichtigt, die in Richtung „Extremismus“ verwiesen, also auf die Beseitigung der verfassungsmäßigen Grundordnung gerichtet waren. Lediglich Delikte, bei denen steuernde Organisationen erkennbar waren, wurden für würdig befunden, in die PKS aufgenommen zu werden. Die Folge dieser beschränkten Sichtweise benennt Manfred Klink, leitender Kriminaldirektor im BKA: „In kaum einem Bereich ist die Wissensunsicherheit derzeit so gravierend und das Bedürfnis nach verläßlichen Lagedarstellungen so groß wie in den diffusen Zonen von Rechtsextremismus und fremdenfeindlichen Straftaten.“

Nach Hoyerswerda dämmerte den Verantwortlichen, daß bei vielen Gewaltdelikten gegenüber ImmigrantInnen keine auf politischen Umsturz gerichtete Motivation zugrunde lag. Der seit Jahren bestehende „Kriminalpolitische Meldedienst in Staatsschutzsachen“ wird nun endlich auch nach fremdenfeindlichen Straftaten ausgewertet, nachdem der „Arbeitskreis II – Öffentliche Sicherheit und Ordnung“ sich im März 1993 zu einer Definition von „fremdenfeindlichen Straftaten“ durchgerungen hat, die die vielfältigen Formen der alltagsrassistischen Gewalt mit einbezieht.

Künftig kann also damit gerechnet werden, daß die Lagebilder und in der Folge die präventiven Konzepte etwas mehr der Wirklichkeit entsprechen als in der Vergangenheit. In Sachsen jedenfalls, wo man bereits im Juli 1991 einen Schwerpunkt in der Bekämpfung der rechten Gewalt und der strafrechtlichen Verfolgung der neonazistischen Szene setzte, werden inzwischen 90 Prozent der entsprechenden Delikte aufgeklärt. Eberhard Seidel-Pielen

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