Zum Tod des Schriftstellers Jorge Semprún: Abschied von der Barbarei
Jorge Semprún kämpfte aktiv gegen Franco und Hitler, auch im KZ. Später setzte er sich selbstkritisch mit dem Stalinismus auseinander. Jetzt ist er verstorben.
Der Alte öffnet die französische Erstausgabe von Jorge Semprúns "Schreiben oder Leben" (1994) und verweist stolz auf die Widmung: "Für meinen Genossen und Freund Sebastián. Federico Sánchez", steht da auf Spanisch. Federico Sánchez war der Deckname von Jorge Semprún im Kampf gegen die Franco-Diktatur, Sebastián der Deckname des Alten mit dem Buch, Kommunist und Nachfolger von Federico, als dieser seine Untergrundarbeit in Madrid einstellen musste.
Beide blieben auch nach dem Ende der verhassten Diktatur eng verbunden. Der eine wurde zum international bekannten Schriftsteller Jorge Semprún. Der andere zum kritischen Geist der alten Garde der spanischen Kommunistischen Partei (PCE). Füreinander waren sie vor allem eines: Sebastián war weiter Sebastián, Federico Sánchez weiter Federico Sánchez.
Dabei hatte Letzterer 16 Jahre nach der "Autobiografie von Federico Sánchez" (1977) seinen Rückzug verkündet. "Federico Sanchez verabschiedet sich von Ihnen", lautet der Titel des Buches, in dem Semprún Abschied von der aktiven Politik nahm. Enttäuscht von seiner Zeit als Kulturminister unter dem Sozialisten Felipe González (1988-1991) räumte der Kämpfer Sánchez dem Freigeist Semprún endgültig den Platz. Dieser wurde zu einer der brillantesten kritischen Stimmen des 20. Jahrhundert.
Die Tragödie des 20. Jahrhunderts
"Die Große Reise" - so der Titel seines Erstlingswerkes 1963 - hatte Semprún durch die ganze Tragödie des 20. Jahrhunderts geführt. Als Kind erlebte er das Ende der spanischen Monarchie, der sein Großvater als konservativer Premierminister gedient hatte. Die Zeit der Hoffnung auf die Zweite Republik endete 1936 im Bürgerkrieg. Semprúns Vater, ein Diplomat, holte die Familie nach Den Haag. Nach der Niederlage der Republik ging es nach Paris. So begann ein Exil, das nie wieder enden sollte.
Semprún schloss sich der französischen Résistance gegen Hitlers Besatzungstruppen an. 1942 trat er der spanischen KP bei, deren aus der Heimat geflohene Mitglieder beim Kampf gegen die Nazis in Frankreich an vorderster Front standen. 1943 geriet Semprún in die Fänge der Gestapo. Er wurde gefoltert und schließlich 1944 nach Deutschland deportiert. Semprún saß ausgerechnet dort ein, wo sich einst einer der von ihm so verehrten Literaten im Schatten einer Eiche inspirierte - auf Goethes Ettersberg, der zum KZ Buchenwald geworden war.
Schreiben oder Leben
Semprún schloss sich dem kommunistischen Widerstand im Lager an, der mit der Selbstbefreiung kurz vor dem Einrücken der Alliierten am 11. April 1945 endete. Der "Geruch nach verbranntem Fleisch, in meinem Kopf […], den ich nicht erklären kann", prägte ihn und sein literarisches Schaffen.
"Schreiben oder Leben" lautete die Herausforderung, die ihn zwischen Semprún und Sánchez hin- und herriss, aber auch vor Verzweiflung und Selbstmord bewahrte. Von 1953 bis 1962 koordinierte Sánchez in Madrid die Untergrundarbeit der PCE, wird ins Zentralkomitee und schließlich ins Politbüro berufen. 1964 wurde der Intellektuelle Federico Sánchez aus der Partei ausgeschlossen. Seine Linie wich von der Parteileitung im osteuropäischen Exil ab.
Das Schreiben ließ Semprún weiterleben. Er arbeitete anhand seiner eigenen Geschichte die seiner Zeit auf: die Barbarei des Faschismus und die Fehler des Stalinismus, die er teilweise mitzuverantworten hatte. Verbitterung oder Rachsucht lagen ihm dabei fern. So gab er deutschen Medien Interviews in Buchenwald - auf Deutsch.
"Viviré con su nombre, morirá con el mío" (Ich werde mit seinem Namen leben und er mit meinem sterben) ist der spanische Titel eines seiner letzten Werke.
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