Zum Tod Joseph Weizenbaums: Vom Nerd zur Unke
Er war einer der größten Kritiker des blinden Fortschrittsglaubens - nun ist der amerikanisch-deutsche Computerforscher Joseph Weizenbaum gestorben.
BERLIN dpa/taz Der 85 Jahre alte Wissenschaftler Joseph Weizenbaum starb, wie seine Familie bekannt gab, am Mittwoch nach schwerer Krankheit in Berlin an den Folgen eines Schlaganfalls.
Weizenbaum war einer der weltweit bekanntesten Kritiker eines bedenkenlosen Computereinsatzes. Er warnte vor einem blinden Fortschrittsglauben und sagte über sich selbst einmal: "Ich bin kein Computerkritiker. Computer können mit Kritik nichts anfangen. Nein, ich bin Gesellschaftskritiker."
Geboren wurde Weizenbaum 1923 in Berlin und emigrierte 1936 in die USA, wo er Mathematik studierte und anfing, sich mit der Konstruktion von Computern zu beschäftigen, was er 1950 dann auch für die US-Navy tat. Von 1955 bis 1963 entwickelte er für Unternehmen wie General Electric erste Betriebs- und Banksysteme, und begann dann seine akademische Laufbahn am Massachusetts Institute of Technology, wo Weizenbaum ab 1970 als Professor für Computer Science arbeitete.
Als Meilenstein gilt sein 1966 veröffentlichtes Computerprogramm "Eliza", das durch die Verarbeitung menschlicher Sprache die Möglichkeit der Kommunikation zwischen Mensch und Computer und somit künstliche Intelligenz demonstrierte.
Zehn Jahre später hatte Weizenbaum sich - nicht zuletzt als Reaktion auf die leichtgläubige Rezeption seines "Eliza"-Programms als "virtuellen Therapeuten" - zum Computerkritiker gewandelt. In seinem Hauptwerk "Die Macht der Computer und die Ohnmacht der Vernunft" prangert eine Gesellschaft an, die sich auf Computer-Berechnungen verlasse anstatt die Entscheidungsgewalt in menschlicher Hand zu lassen. Das Buch wurde zu einem Klassiker der Computer- und Gesellschaftskritik.
Joseph Weizenbaum, der seit 1996 wieder in Berlin-Mitte lebte, hat diverse Auszeichnungen erhalten. Unter anderem das Große Bundesverdienstkreuz und mehrere Ehrendoktorwürden, wie die der Universitäten Hamburg und Bremen.
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