■ Zum Start der Pflegeversicherung: Pflegekassen blamiert
Die Pflegekassen haben sich gründlich verschätzt. Zwei Wochen bevor die ersten Leistungen aus der Pflegeversicherung fällig werden, sind erst 14 Prozent der Anträge bearbeitet. Bereits Mitte Januar zeichnete sich ab, daß der Medizinische Dienst der Krankenkassen mit der Begutachtung der Antragsteller hoffnungslos in Verzug gerät. Konsequenzen wurden daraus nicht gezogen. Damals lehnte die AOK eine vorübergehende Aufstockung der externen Gutachter noch mit dem Argument ab, das komme zu teuer. Erst in allerletzter Minute haben die Pflegekassen jetzt eingesehen, daß zusätzliche Kräfte herangezogen werden müssen. Die Maßnahme kommt allerdings zu spät. Denn selbst mit zusätzlichen Gutachtern ist die Antragsflut nicht mehr rechtzeitig zu bewältigen.
Wenn Sozialsenatorin Ingrid Stahmer angesichts dieser Situation lapidar erklärt, daß man rechtzeitig einen Antrag stellen müsse, wenn man Leistungen aus der Pflegeversicherung beziehen will, ist das ein dreister Versuch, den Betroffenen einen Teil der Schuld an der Verzögerung zuzuschieben. Für die Pflegekassen war absehbar, daß in kürzester Zeit rund 55.000 Anträge zu bearbeiten sind. Daß sie dafür nicht die nötigen organisatorischen Voraussetzungen geschaffen haben, ist eine Blamage. Im Nachbarland Brandenburg hat man immerhin ein Drittel der Anträge bearbeitet.
Zwar liegt die Verantwortung für die Umsetzung der Pflegeversicherung in erster Linie bei den Pflegekassen, doch auch Sozialsenatorin Stahmer muß sich vorwerfen lassen, den Krankenkassen nicht genau genug auf die Finger geschaut zu haben. Natürlich hat niemand erwartet, daß die Einführung des Jahrhundertwerks Pflegeversicherung völlig reibungslos über die Bühne geht. Doch angesichts des eklatanten Zeitverzugs hätte die Sozialsenatorin eingreifen müssen. Aber zu dem Zeitpunkt war Ingrid Stahmer vollauf mit dem innerparteilichen Wahlkampf für die Bürgermeisterkandidatur beschäftigt und mußte mit ihrem Konkurrenten Walter Momper endlose Diskussionsrunden bestreiten. Dorothee Winden
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