■ Zum Siechtum der FDP: Ein vorgeblicher Sieg
Auf ihrem außerordentlichen Landesparteitag hat die Berliner FDP einem von rechten Mitgliedern um den ehemaligen Generalbundesanwalt Alexander von Stahl verfaßten Papier eine Absage erteilt. Landeschef Günter Rexrodt trug einen medialen Sieg davon. In Vergessenheit geriet darüber aber, warum die Delegierten am Samstag zusammengerufen worden waren: um eine Landesliste für die kommende Abgeordnetenhauswahl durchzusetzen. Die satzungsnotwendige Zweidrittelmehrheit wurde jedoch knapp verpaßt, die Rechten durften sich anschließend die Hände reiben. Nun wird wie 1990 mit Bezirkslisten operiert. Seitdem haben sich aber die ideologischen Gewichte innerhalb der kleinen Partei verschoben. Jene Kräfte, die aus der Krise des Liberalismus die Hoffnung auf eine nationalliberale Wiedergeburt schöpfen, wurden immer lauter. Ihre Rezeptur ähnelt jener der neuen Rechten: moralische Kategorien gegen die Krisensymptome der Gesellschaft. Ein Papier mag nun vom Parteitisch sein, aus den Köpfen ist es noch lange nicht. Denn mit ihrem Votum gegen die Landesliste haben die Delegierten die Krise der Berliner FDP sogar noch verschärft, den Rechten einen strategischen Erfolg verschafft. Dem noch sehr diffusen Lager der nationalliberal Auferstandenen bietet sich jetzt die einmalige Chance, über Bezirkslisten ihre Kandidaten ins Abgeordnetenhaus zu schicken. Voraussetzung bleibt aber ein Wahlerfolg – bei der FDP in ihrem jetzigen Zustand heißt das Erfüllung der Minimalquote von fünf Prozent Stimmen auf Gesamtberliner Ebene. Es wäre zu einfach, von einigen Polit-Desperados zu sprechen, die die FDP als FPÖ-Haider-Abklatsch nutzen wollen. Der schleichende Richtungswechsel folgt einem wenig beachteten Paradigmenwechsel in Teilen der bürgerlichen Mitte, einer zunehmend aggressiven Mischung aus nationalem Pathos, Wirtschaftsliberalismus und autoritärem Staatsverständnis. Daß ein Papier wie das von Stahl, einer Gruppe bürgerlich-feinsinniger FDPler in Maßanzügen und guten Manieren, so viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, ist nur Ausdruck eines liberalen Siechtums. Im „Laboratorium der deutschen Einheit“ könnte die FDP ihre blaugelbe Vergangenheit endgültig zu Grabe tragen, um als schwarzweißrote Preußenflagge wiederaufzuerstehen. Das wäre dann allerdings keine FDP, sondern der Nachfolger der abgewirtschafteten Reps. In softer Ausführung, natürlich. Severin Weiland
Siehe auch Bericht Seite 5
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