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Archiv-Artikel

■ Zum „Schlagloch“ von Viola Roggenkamp Ist ein Berufsverbot ein Schutz?

betr.: „Freiheit statt Kopftuch“, taz vom 11. 2. 04

Ich war bestürzt, als ich den Artikel gelesen habe.

Was hat unser Kopftuch mit Iran und deren Revolutionswächtern und deren Angelegenheiten zu tun. Wir leben in Deutschland. In Deutschland gibt es Demokratie, oder irre ich mich? Hier gibt es keine Revolutionswächter und unsere Polizei kontrolliert nicht lackierte Fingernägel.

[…] Ich komme aus einem eher ländlichen Gebiet der Türkei, habe bis zu meinem 14. Lebensjahr in einer Kleinstadt gelebt. Meine Familie (wir sind fünf Geschwister, vier Jungen und ein Mädchen) war eher konservativ, sogar religiös. Einer meiner Brüder ist Hodscha (islamischer Priester). Aber bei uns hat es niemals einen Zwang zum Kopftuch gegeben. Es war eher eine Tradition, eine islamische Regel, die man gerne anwendete oder anwenden wollte. Aber wenn es zur Ablehnung des Kopftuchs führte, war das auch kein Problem. […] Keine der Nichten trägt ein Kopftuch. Sie meinen vielleicht, dass meine Frau oder meine Tochter ein Kopftuch tragen? Nein. Das ist ihr freier Wille und ich habe das auch so zu akzeptieren. Wenn sie es tragen wollten, würde ich es auch akzeptieren, ja sogar begrüßen, aber niemals erzwingen.

[…] Worüber urteilt eigentlich Frau Roggenkamp, wenn sie das Kopftuchproblem in Deutschland betrachtet? Iranische oder deutsche Innenpolitik? Den Personen, die aus freien Stücken bzw. religiösen Gründen ihr Kopftuch tragen möchten, sollte man auch in einem freien und demokratischen Deutschland erlauben, das zu tun. […] ATILLA H. AKTUERK, Frechen

1. Es gibt Frauen, die das Kopftuch – aus welchen Gründen auch immer – tragen möchten. Warum sollte man es ihnen verbieten? Und es gibt 2. Frauen, die das Kopftuch nicht tragen möchten, aber dazu gezwungen werden. Es ist die Pflicht aller Menschen und auch aller Rechtsstaaten, mit aller Kraft die Rechte dieser Frauen zu gewährleisten. Ein Kopftuchverbot würde ihnen nichts nützen, weil die islamischen Fundis diese „Ausrede“ gar nicht gelten lassen. Sonst würden sie ja wohl kaum Frauen wegen Ehebruchs steinigen, die vergewaltigt worden sind! […] HERBERT GUTZER, Burgrieden

Früher propagierte die CDU platt und einfallslos „Freiheit statt Sozialismus“. Heute ist sich Frau Roggenkamp nicht zu schade, „Freiheit statt Kopftuch“ zu fordern und dafür auch noch Hannah Arendt ins Feld zu führen. Arme Hannah Arendt. Es mag gute Gründe geben, das Kopftuch zu verbieten. Aber wer den Zwang, das Kopftuch zu tragen, durch den Zwang, kein Kopftuch zu tragen, ersetzen will, sollte besser nicht mit dem Freiheitsbegriff argumentieren. Und wenn Frau Roggenkamp die fundamentalistische Interpretation des Islam für die einzig mögliche hält, unterwirft sie sich genau der totalen Herrschaft des politischen Islam, die sie eigentlich bekämpfen will. […] NILS FLORECK, Berlin

Niemand, und schon gar nicht die Frauen um Marieluise Beck, fordert, wie Frau Roggenkamp behauptet, eine Kopftuchpflicht für „alle muslimischen Frauen“, niemand will sich „dem politischen Islam unterwerfen“. Es geht ja gar nicht um Menschen, die zu etwas gezwungen werden. Frauen haben in Deutschland viele Möglichkeiten, sich einem eventuellen Kopftuchzwang zu entziehen, etwa indem sie die sie zwingenden Männer anzeigen, falls diese Gewalt gegen sie gebrauchen, oder indem sie diese Männer ganz einfach verlassen. Diese Freiheit hat der Gesetzgeber zu schützen, und er tut es auch.

In der Diskussion geht es um Frauen, die ihrem persönlichen Glauben folgend ein Kopftuch tragen wollen, freiwillig, aus eigenem Entschluss. Und diesen Frauen wollen – darum geht es ja eigentlich – konservative, intolerante ChristInnen und andere Xenophobe dieses Zeichen ihrer Religionszugehörigkeit verbieten, weil sie um die Vorherrschaft der christlichen Kirchen in Europa fürchten, weil sie eine Veränderung der europäischen Kultur durch den Einfluss des arabischen Islam befürchten. […] V. Roggenkamp verwechselt falsches Verhalten mit dem von ihr hierfür gehaltenen Symbol. Frauen, die in Deutschland freiwillig ein Kopftuch tragen, tragen es nicht aus demselben Grund wie die, die im Iran oder anderswo dazu gezwungen werden. […] Dadurch, dass man/frau bei uns muslimische Frauen in ihrer Berufswahl einschränkt, ändert man/frau gewiss nichts an der Unfreiheit in anderen Ländern. Allerdings wird die Unfreiheit in unserem Land durch die entsprechenden Pläne einiger Bundesländer vergrößert. […] GEORG LITTY, Unterjesingen

Wie unser Verfassungsgericht früher als die Gesellschaft bemerkte: Es geht in der Kopftuchdebatte nicht darum, ob eine Religion richtig ist, sondern darum, einen gesellschaftlichen Wertekonflikt auszutragen.

Angesichts dieser Einsicht ist es bestürzend, wie diejenigen den Konflikt austragen, die für ein Kopftuchverbot eintreten. Sie beschimpfen ihre KritikerInnen als Mitläufer eines faschistoiden Islam und fallen selbst in die Zeiten zurück, als es sich der Staat anmaßte, über den Glauben der Untertanen zu bestimmen.

Natürlich wäre es schön, wenn Frauen und Mädchen vor Fundamentalisten aller Couleur geschützt werden könnten. Aber ist ein Berufsverbot ein Schutz? Mit welchem Recht untersagen wir einer muslimischen Lehrerin die Berufsausübung, nicht aber einem muslimischen Lehrer, nicht aber einem Sexisten oder einem Zyniker? Für alle gilt, dass nur grobe Regelverletzungen ein Berufsverbot rechtfertigen. Für die muslimische Frau reicht der unbewiesene Verdacht, sie unterstütze die Extremisten ihrer Religion

Im Unterschied zu Frankreich sind in Deutschland Kirche und Staat nicht getrennt. Ein großer Teil der sozialen Einrichtungen wird mit Staatsgeldern von Kirchen betrieben, die ihren MitarbeiterInnen u. a. bei Scheidung oder homosexueller Partnerschaft legal kündigen dürfen. Ich finde, „wir“ sollten alle Kinder vor allen Fundamentalismen schützen. Das wird aber nur möglich sein, wenn wir die Religionsfreiheit, die die Verfassung garantiert, konstruktiv weiterentwickeln und für alle Religionen gleichermaßen begrenzen.

ANJA WEISS, München

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