piwik no script img

■ Zum Gedenken an einen lehrerlosen SommerSauertopf ist wieder da

Woran erkannt man, daß der Sommer vorbei ist? – Daran, daß die Lehrer wieder da sind. Wie angenehm war das Dasein doch, als sie fort waren. Leer das Gartenlokal, nicht wüst und leer, sondern schön leer und frei auch von Lehrernachwuchsgeplärr, denn Nachwuchs bastelt sich der Lehrer gern und reichlich, allein schon damit er auch nach Feierabend und am Wochenende noch etwas zum Quälen hat.

Himmlisch war die lehrerabsenzbedingte Stille, ertönte doch kein Erziehungspersonal- und Ehrgeizgezeter über die durch die Bank egalweg Stück für Stück natürlich hochbegabte überdurchschnittliche intelligente und entwickelte Brut; auf das Ergebnis seiner Zucht und Aufzucht nämlich ist der Lehrer ähnlich stolz wie der Nationalfahnenschwenker auf sein Vaterland.

Auf anderer Leute Nervenkosten frisch erholt, ist der Lehrer – aus purer Bosheit – ganz unverändert in seine Stadt zurückgekehrt und trampelt wieder unverdrossen durch das Quartier, das er am liebsten hat, weil's dort so viele von seiner Sorte gibt; gemeinsam haben sie dafür gesorgt, daß die Grünen hier mehr als ein Drittel der Wählerstimmen bekommen, was wiederum den Bezirk noch attraktiver macht für noch mehr die Grünen wählende Lehrer, die den Stadtteil aber nicht Stadtteil nennen oder Bezirk, sondern mit salbungsvollem Understatement: Kiez. Und der Kiez, das ist ihre feste Überzeugung, sei eine Art verlängertes Wohnzimmer, wo man sich, damit auch sichergestellt ist, daß der angenehm anonyme öffentliche Raum gänzlich verschwindet, folgerichtig ganz ungeniert so gebärdet wie privat, denn man ist ja unter sich.

Unter sich sein geht so: Im Straßenlokal bedient der Wirt, der ein selbstgemachtes Kleinkind auf dem Arm trägt. Entsprechend schleppend erfolgt die Bedienung; zur prophylaktischen Abwehr jeder berechtigten Kritik, und sei sie auch nur scherzhaft oder milde ironisch vorgebracht, hat sich der Wirt einen Gesichtsausdruck angeschraubt, der jeden zum Menschenfeind stempelt, der für sein unprofessionelles, wurschtiges Gebaren etwas anderes übrig hat als klebriges Einverständnis. Am Nebentisch hockt, ebenfalls ein Eigenbalg im Arm, ein demonstrativ hochengagierter Vater, einer jener Vertreter, die einen Geburtsvorbereitungskursus nur deshalb besuchen, um auch auf diesem Felde noch alles besser zu wissen und bei der Entbindung zu ihrer Frau sagen zu können: „Schatz, du preßt falsch.“

Jener Mensch nun posaunt, mit dem Finger auf sein Kind zeigend, durchs Lokal: „Maruscha hatte die Masern! 14 Tage!“ Klar: Da das Lehrerkind sonst noch nichts Vorzeig- und vor allem Vergleichbares aufweist, muß es wenigstens die schlimmsten aller Masern gehabt haben, Hochleistungsmasern quasi. Den beiden gegenüber sitzt eine Frau, deren Beine geeignet sind, die Vision von hundert Rasierapparaten erstehen zu lassen; auch sie quetscht einen Säugling an sich und stopft einen Brei in ihn hinein, den sie, wie sie zu betonen nicht müde wird, „selbst gemacht“ hat.

„Genauso sieht der graue Pampf auch aus“, möchte man ihr fröhlich zurufen, „wie von Frau Sauertopf persönlich angerührt.“ Aber da verkündet sie schon: „Meiner ist ein guter Futterverwerter!“, mit einem Timbre, das aus dem Verdacht, Gesundheitsfixiertheit und blanke Dummheit speisten sich aus ein und derselben Quelle, eine Gewißheit macht.

Irgendwann ist auch dieser Nachmittag verquasselt; Lehrerin und Lehrer dackeln nach Hause, ihrer Bestimmung entgegen: ohne Nachtisch ins garantiert verkehrsberuhigte Bett. Wiglaf Droste

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen