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Aus taz FUTURZWEI

Zum Bundesparteitag 2020 Können die Grünen Leadership?

Wer eine autoritäre Wende verhindern will, muss liberaldemokratische Führung neu erfinden. Dafür wurden die Grünen aber nicht gegründet. Haben Baerbock und Habeck das geändert?

Führen bedeutet Zusammenführen: Grünen-Politiker Baerbock und Habeck Bild: dpa

Von PETER UNFRIED

Der Moment, in dem ein Grüner in ein Amt gewählt ist und einen Blumenstrauß bekommt, ist der Moment des letzten herzlichen Applauses. »Danach hast du die Seite gewechselt«, sagt eine Politikerin, die selbst in hohen Ämtern war, »und ab da beäugt man dich kritisch.« Das meistbenutzte Wort im Zusammenhang mit »Grüner Leadership« ist »dienen«, danach kommt »Demut«. Wer Grüne führen will, muss demütig in den Staub, darf zwar enthusiastisch sein, aber den lieben Freundinnen und Freunden auf keinen Fall zeigen, dass er sehr viel drauf, dass er konkrete Pläne hat und dass er alles tun wird, um sie umzusetzen.

Stimmt das denn noch und wenn ja – warum?

Immerhin stellen die Grünen mit ihrem neuen Grundsatzprogramm offiziell den Führungsanspruch für die ganze Gesellschaft. Und zwar aus dem Zentrum heraus.

Aber dafür wurden sie nicht gegründet? Eben. Genau darin besteht ein Fortschritt, anzuerkennen, dass die Orientierung nicht mehr die Vergangenheit ist, sondern die Zukunft. Für die Vierzigplusjährigen wie Manuela Rottmann oder Konstantin von Notz war die gegengesellschaftliche Protestphase nicht mehr prägend, für Generation Y wie Danyal Bayaz oder Katharina Schulze nicht mal mehr rotgrün.

Die relevante Frage lautet: Wie lösen Politik und Gesellschaft die großen Probleme und wer führt das an, wer bringt das in Deutschland an führender Stelle in der Regierung voran? Da rufen die Grünen: Wir! Diese geschlossen daherkommende Perspektive ist neu, aber die Frage ist, ob sie es können. In dreifacher Hinsicht: Ob sie als Partei erwachsen genug sind für den Rollenwechsel von den posenden Rebel-Kids zu den nüchtern verantwortlichen Eltern. Ob sie wirklich das Know-how haben, mit dem heute geführt werden kann. Und falls 1 und 2 zu bejahen sind: Ob das ausreicht, um Ergebnisse zu liefern.

Die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Führung sind anders als bei Konrad Adenauer oder Willy Brandt

Die politischen Führungsprobleme sind Folge der Krise der liberalen Demokratie in einer beschleunigten Globalisierung, nicht andersherum, die Machtverlagerung weg vom Nationalstaat zu nicht demokratisch legitimierten Eliten, zu transnationalen Unternehmen, die sich entwickelnden und miteinander verschlungenen globalen Krisen, dazu der sinkende Wert von Information durch klassische Medien, der Irrsinn der asozialen Netzwerke, die Kollateralschäden, die die gesellschaftliche Liberalisierung auslösen: Die Rahmenbedingungen für erfolgreiche Führung sind anders als bei Konrad Adenauer oder Willy Brandt selig – und nicht mit purer emanzipatorischer Fortschrittsromantik zu lösen. Der demokratische Präsident Barack Obama stellte zwar ästhetisch eine Art Leadership vor oder dar, die voll auf der Höhe der liberaldemokratischen Befindlichkeit war, aber erstens zu wenig Probleme löste und zweitens eine kulturelle Gegenreaktion zumindest nicht verhindern konnte. Präsident Emmanuel Macrons gleichzeitig partizipatives und entschlossenes Führungsangebot löste Begeisterung aus, bekam aber nach dem Wahlsieg eine autoritäre Schlagseite. Allerdings wurde er von der deutschen Bundesregierung auch brutal ausgebremst.

Nun haben die meisten Deutschen aus bekannten Gründen die Schnauze voll von Führern. Die 1968ff-Kultur hat mit ihrem Emanzipations- und Liberalisierungsprojekt auch Führung demokratisiert, aber als Kollateralschaden eben auch generell in Verruf gebracht. »Keine Macht für niemand«, sangen Ton Steine Scherben und dachten vermutlich wirklich, das sei eine tolle Lösung. Rio Reiser hatte offenbar seine Hannah Arendt nicht gelesen, sonst hätte er gewusst, dass dort, wo ein Machtvakuum ist, Gewalt »herrscht« – und eben nicht wunderbarer Frieden.

In diesen von 1968ff-Kultur geprägten Milieus und Gruppierungen herrscht jedenfalls traditionell eine organisierte Misstrauenskultur gegenüber Leitungspersonal, die in der Konsequenz dazu führt, dass Führung fehlt und Macht in bestimmten Bereichen nur jenseits von Führungspositionen ausgeübt werden kann. Entweder, indem sie mit hohem kommunikativem Aufwand in institutionelle Prozesse hinein organisiert wird, was heute noch einen Großteil der Arbeit der Grünen-Parteivorsitzenden ausmacht. Oder indem sie jenseits von Führungspositionen ausgeübt wird. Wenn offiziell keiner wirklich was zu sagen hat, bildet sich informelle Macht aus.

Man kann das genau nachvollziehen an der wichtigsten, charismatischsten und auch besten Führungsfigur, die die Grünen je hatten: Joschka Fischer. Der Vizekanzler und Außenminister von Rot-Grün führte die aufgeregte Partei als Fraktionsvorsitzender mit einer klaren internen und externen Machtstrategie ab 1994 zum ersten und einzigen Mal in die Bundesregierung (1998 bis 2005) und hielt sie dort trotz stürmischer Weltläufe stabil.

Es ist ein demokratischer Gewinn, dass Führung in Parteien permanent neu gewonnen werden muss

Fischer war nie Parteivorsitzender. Schlimmer: Er war erfolgreich, weil er nicht in Parteiämtern war. Fischer profilierte sich in der Gesellschaft und das teilweise als Gegenpol zum Klischee-Grünen, also als »vernünftig«, was ihm innerhalb der Grünen keine offiziellen Mehrheiten erlaubte, aber mithilfe eines informellen und gut funktionierenden Helfernetzes in Ämtern eine herausragende Macht- und damit Führungsposition verschaffte. Bei Parteitagen gewann er nur dann eine Abstimmung, wenn es für ihn wirklich darauf ankam (Kosovo-Einsatz). Er hebelte das Führungstabu aus, indem er es vordergründig bediente und im Alltag mit seinen Jungs sein Ding durchzog. Größere Teile der Partei heulten über diese Führung, die sie als illegitim empfanden. Es war aber zu diesem Zeitpunkt die einzig mögliche, angesichts der parteiinternen Verhinderung von Führung durch eine gewählte Führung.

Die notorische Misstrauenskultur beinhaltet indes einen Fortschritt und einen Vorsprung vor SPD und Union: Es ist – bei aller Lähmungsgefahr – auch ein demokratischer Gewinn, dass Führung in Parteien permanent neu gewonnen werden muss. Wir erleben gerade zwei umgekehrte Prozesse bei SPD und Grünen: Die sozialdemokratische Basis wird immer misstrauischer gegenüber ihrem Funktionärsführungspersonal und sucht nach immer mehr Kontrollmöglichkeiten, die Grünen haben mit Baerbock und Habeck erstmals in der Geschichte eine Parteispitze zugelassen, der das Führen tatsächlich möglich ist.

Man kann sagen, dass auch in der Frühzeit der Grünen nicht alle nur stricken wollten, sondern manche schon auch führen. Aber sie konnten nicht, weil sie nach innen führen wollten und sich so wechselseitig den Weg in die Gesellschaft versperrten.

Die Grünen-Vorsitzenden hießen früher nicht umsonst »Sprecher«, weil sie nichts sein sollten als die Stimmen der Parteiflügel. Dieses Prinzip funktionierte manchmal besser, etwa Anfang des Jahrtausends mit Reinhard Bütikofer und Claudia Roth, manchmal schlechter. Am Ende aber brachte es einen Totalschaden mit Simone Peter hervor, die als Sprecherin des linken Flügels, also von Jürgen Trittin den Kovorsitzenden und deutschlandweit beliebten Spitzenpolitiker Cem Özdemir immer wieder in die Niederungen des Parteifunktionärsgezänks zurückzog. Das interessiert verständlicherweise Parteikader und ein paar damit seit Jahrzehnten arbeitende Journalisten, aber im vorpolitischen Raum der 95-Prozent-Mehrheitsgesellschaft keine Sau. Was einem Traditionsgrüne als lebendigen Pluralismus verkaufen wollten, sind eben auch Posten- und Karrierenetzwerke und am Ende kommt es bei den Leuten als selbstbezogenes Gekeife an – und damit ganz schlecht.

Baerbock und Habeck als gemeinsames Führungsduo

Wie haben Annalena Baerbock und Robert Habeck es seit 2018 geschafft, zum Macht- und Strategiezentrum der Grünen zu werden? Nicht einfach dadurch, dass die Umfragewerte von 8 auf 20 Prozent plus/minus stiegen. Es ist andersherum. Der grundsätzliche gesellschaftliche Strukturwandel war schon vorher da, der eine neue Mittelschicht ohne angestammte Partei hervorgebracht hat. Die Wähler im Bund kamen aber nicht von allein und auch noch nicht durch Winfried Kretschmanns Aufstieg zur führenden Kraft in Baden-Württemberg auf die Idee, dass die Grünen ihre Partei sein könnten. Sondern erst, als sie Baerbock und Habeck als klares und vor allem als gemeinsames Führungsduo identifizieren konnten und sich von ihnen auch gezielt und richtig angesprochen fühlten. Das mag man als oberflächlich tadeln, aber Wahlentscheidungen sind Fragen von Orientierung, Vertrauen und Identifikationspotenzial.

Die Schubkraft von Baerbock und Habeck kommt hauptsächlich durch zwei Änderungen im Innenverhältnis. Als sie kommen – Habeck muss auch noch monatelang gebeten werden, was ihn zusätzlich stärkt –, sagen sie einfach: Leute, wir kennen keine Flügel mehr, nur noch Grüne. Das stimmt für die Bundestagsfraktion und Teile der Partei nicht, aber wohl inzwischen für einen überwiegenden Teil. Die Orientierung nach außen hat die inneren Strömungsideologien relativiert oder aufgelöst. Damit haben die Vorsitzenden die Regeln und die Perspektive geändert und neue Kraft gewonnen, weil sie sich dadurch nicht neutralisieren, sondern potenzieren. Gleichzeitig lassen sie sich bisher auch sonst nicht gegeneinander ausspielen, sondern sitzen im Büro nebeneinander und stehen – bildlich gesprochen – Rücken an Rücken. Und sie können nach außen als starke Führung gesehen werden, weil sie die Bewegungen innen ständig durch kommunikative und strukturelle Prozesse legitimieren.

Diese aufwendige Art von kooperativer Führung ist bei einer machtlosen Bundespartei in der Opposition möglich. Sie wird aber anders laufen müssen, wenn die Grünen Teil der Bundesregierung sind und ihr Sprechen, Entscheiden oder meistens Mitmachen dem Tempo einer nicht oder kaum steuerbaren Außenrealität anpassen müssen. Dann wird auch die Steuerung des bisher wichtigsten Führungsgremiums schwieriger. Auch dieses ist bisher ein informelles, nämlich der sogenannte »Grüne Kamin« in der baden-württembergischen Landesvertretung, an dem die zehn Landesregierungen donnerstagabends das konkrete Vorgehen im Bundesrat abstimmen. Während die mediengesellschaftlichen Folien gern ein klischiertes Bild der Grünen malen, das sich an ihrer Protest- und Bewegungsvergangenheit orientiert, ist der »G-Kamin« die politische Realität der Partei und zeigt, wie sich der Charakter durch die Vielzahl an Regierungsbeteiligungen verändert hat. Am Kamin sieht man, dass die Grünen eine Regierungspartei sind, die zu allen politischen Bereichen eine Position haben muss und auch Positionen mittragen können muss, die sie nicht so geil findet. Regierungsbusiness as usual, wie bei Union und SPD eben auch. Die Frage ist, wie man Bund, Länder, Partei und endlich auch grüne EU-Regierungen organisiert, wenn Grüne in der Bundesregierung sitzen, was alles andere vermutlich marginalisieren wird.

Das neue Grundsatzprogramm verschiebt die Grünen und ihre Wähler ins Zentrum der Gesellschaft

Das erkennbar vom Denken Robert Habecks geprägte neue Grundsatzprogramm ist auf die veränderte politische und gesellschaftliche Lage ausgerichtet: Es versucht, den systemischen Rahmen für einen neuen Vorsorgestaat zu erfassen, ist also sozialpolitisch »linker«, was aber letztlich die Lösung »konservativer Bezugsprobleme« (Armin Nassehi) meint. Gleichzeitig – und das ist das wirklich Neue – verschiebt es die Grünen und ihre Wähler vom kulturellen Rand des vermeintlich Widerständigen und faktischen Zuschauers in das Zentrum der Gesellschaft, also in die Verantwortung für das Ganze. Habecks Satz, das Wahlziel sei es, »möglichst stark in die Regierung« zu kommen, ist demnach kein Verrat, sondern ein Führungsversprechen. An dem die Grünen neu gemessen werden müssen.

Die Fragen lauten: Wie organisiert man künftig eine offene Gesellschaft? Wie organisiert man Mehrheiten in einer individualisierten Gesellschaft für das Gemeinsame? Wie verhindert man eine identitäre Polarisierung wie in den USA?

Von manchen Politikern und auch Politikjournalisten wird Habecks überdurchschnittliche geistige Grundausbildung gerne verhöhnt (»Dieser Philosoph!«). Die Idee dahinter ist, ein Ressentiment gegen den Geist zu bedienen und einen Gegensatz von Geist und Politik zu konstruieren. Naja. Jedenfalls ist Habecks Führungs- und Machtverständnis erkennbar von Hegels »Herrschaft und Knechtschaft« und Hannah Arendts »Macht und Gewalt« geprägt. Arendt sagt darin, dass man »Macht« nicht hat, sondern dass sie erst im »Miteinander handeln und miteinander sprechen« entstehe. Hegel sagt, dass der Herr Macht über den Knecht hat, aber nur solange der Knecht die Macht anerkennt. In der Tyrannei ist das anders, aber in der liberalen Demokratie lebt Macht von Zustimmung, das gilt selbst für Bayern, weshalb Ministerpräsident Söder sich und der CSU im letzten Moment das alte Wir-wissen-schon-was-für-euch-gut-ist abgewöhnt hat. Die einst auch absolutistisch herrschende CDU Baden-Württemberg dagegen checkt bis heute nicht, dass die Grünen mit ihrer »Politik des Gehörtwerdens« den Mehrheitswunsch nach neuen partizipativen Formen von Führung einlösen.

Führung, sagt der Soziologe Heinz Bude, sei in der derzeitigen Weltlage ein »Deutungsvorgang«, es brauche »Orientierung«. Nun sind Orientierungsaussagen aber schwierig, weil sich die Problemlage ja ständig zu ändern scheint und plötzlich etwas alle Aufmerksamkeit in Anspruch nimmt, was man vorher nicht gesehen oder schlicht ignoriert hat. 2015 fiel uns plötzlich auf, dass wir in einer Welt leben, in der Hunderte Millionen Menschen unterwegs sind, um woanders besser zu leben. 2020 fiel uns plötzlich auf, dass wir in einer Welt der Pandemien leben. Kanzlerin Merkel ist immer sehr kritisiert worden für fehlende Orientierungsansagen, aber letztlich doch auch gut damit gefahren.

Das alte Maß-und-Mitte-Prinzip bringt nicht die notwendigen Ergebnisse zur Stabilisierung der liberalen Demokratie

Die Frage ist, wie man unter diesen Bedingungen Orientierungsansagen in Budes Sinne macht, die wirklich Orientierung geben und politisch entwickeln. Das geht nur, wenn sie mit nachhaltig verfolgter Großkrisenpolitik verknüpft sind. Genau das wird gebraucht. Aber es wird bisher eben nicht genügend nachgefragt. Das Schaun-wir-mal-dann-sehn-wir-schon-Prinzip der Bundesrepublik ist einerseits zu wenig geworden, andererseits wird dieser Zombie von der Mehrheitsgesellschaft als lebendig betrachtet. Nicht nur das Führen im Sinne von Ansagen funktioniert nicht mehr, auch das Führen auf der Basis dieses alten Maß-und-Mitte-Prinzips bringt nicht die notwendigen Ergebnisse zur Stabilisierung der liberalen Demokratie.

Es geht auch nicht nur um Moderieren, sondern um einen Prozess des offenen Erklärens, des zweifelbereiten Nachjustierens, so wie Merkel das in der ersten Phase der Corona-Pandemie tat, bevor sie wieder in alte Schweigsamkeit verfiel. Und wie Söder das performativ weiterentwickelt hat.

Annalena Baerbocks Leadership ist schwerer zu prognostizieren, da sie noch kein öffentliches politisches Amt hatte. Robert Habeck hat in seinen Jahren als Minister und Vize-Ministerpräsident von Schleswig-Holstein eine Form von Leadership entwickelt, die sichtbar geworden ist. Sie hat den Anspruch, offene Veränderungsprozesse zu leiten, mit denen am Ende »Einvernehmen« hergestellt werden kann. Das ist übrigens ein Hannah-Arendt-Begriff. Offen heißt: »Ich weiß, wo ich hin will, aber wenn ihr bessere Wege habt, umso besser.« Einvernehmen heißt, dass auch Leute, die am Ende gegen die Entscheidung sind, den Prozess dahin für so legitim und fair halten, dass sie damit leben können.

Hier kommt nun eine entscheidende Dimension hinzu, auf die der Parteigründer Lukas Beckmann hinweist: Die »Wer führt«-Frage für die Bundesrepublik muss auf der Grundlage von »Was führt?« entschieden werden. Zur Wahl stehen das Prinzip des »Haben wir immer so gemacht«, das Prinzip des »Schaun wir mal, was heute wieder los ist« und als schwierigste Disziplin das Führen aus der Perspektive einer gelungenen Zukunft heraus. Dieses Führen ist im Sinne des Zeit und Grüne prägenden Luhmannianers Armin Nassehi ein Zusammenführen, ein Schließen von Bündnissen von Politik und den gesellschaftlichen Systemen. Das ist inzwischen fester Bestand der Rhetorik von Baerbock und Habeck. »In liberalen Gesellschaften liegt die Kraft für Veränderung nicht in der Führung vereinsamter Macht, sondern in der Macht gesellschaftlicher Bündnisse«, sagt Lukas Beckmann.

Wer in der Mehrheitsgesellschaft hoch angesehen ist, erfährt in der eigenen Partei häufig Skepsis

Das zunehmende Problem von politischer Führung ist indes, dass wer in der Mehrheitsgesellschaft hoch angesehen ist, in der eigenen Partei häufig Skepsis erfährt und umgekehrt. Schlicht, weil die Parteifunktionäre anders drauf sind als die Gesellschaft. Winfried Kretschmann ist der Ministerpräsident aller Leute, aber nicht aller Grünen. Aber wäre er der offizielle Leader aller Grünen, würden ihn viele seiner Baden-Württemberger nicht so gut finden. Die Sozialdemokraten Gerhard Schröder und Oskar Lafontaine hatten das 1998 sehr gut hingekriegt, den einen liebte die Mehrheitsgesellschaft, den anderen die Partei. Made in Heaven. Beziehungsweise dann eben doch nicht. Schröder zog sein Ding durch, Lafontaine verlor die Nerven, der Rest ist Geschichte – und die SPD mehr oder weniger auch.

So ein Leader-Duo muss schon eine sehr vertrauensvolle und verlässliche Bindung zueinander haben, damit es in einer hierarchisch strukturierten Bundesregierung gemeinsam wirken kann, in neue gesellschaftliche Bündnisse, aber auch in Fraktion und Partei hinein. Man muss damit umgehen können, wie es dereinst Fritz Kuhn konnte, wenn er mit Rezzo Schlauch hinaus zu den Bauern und Handwerkern ging – und dann rannten die alle zum Schlauch und Kuhn stand im Eckle, obwohl er in der Partei die Nummer eins war. Aber Kuhn wusste halt, dass die Aufteilung gut für die Grünen war.

Will sagen: Wenn Baerbock und Habeck sich in der K-Frage von interessierten Kreisen zu einer öffentlichen Eskalation hinreißen lassen, werden am Ende alle kleiner sein, vor allem die Partei. Wenn sie die Sache aber gemeinsam regeln, als Führungsteam und als Projektionsfläche für künftiges Handeln zusammenbleiben, dann wird in der Gesellschaft Fantasie und politische Energie freigesetzt.

Und dann entsteht neuer Spielraum.