Zukunftsgespräche : Mehr Utopie wagen
Philosoph Richard David Precht spricht mit taz FUTURZWEI über die nächste Gesellschaft.
Interview: Peter Unfried und Harald Welzer
taz FUTURZWEI: Wo ist vorn, Richard David Precht?
Richard David Precht: Wäre leichter gewesen zu beantworten, wo vorn nicht ist.
Das kann ja jeder.
Okay. Der Motor des Fortschritts ist die Technik, das kann man schon mal sicher sagen. Alles, was gegenwärtig als zukünftig oder vorn empfunden wird, ist abhängig von technischem Fortschritt und wird nicht von Intellektuellen oder einer sozialen Bewegung gedacht.
Und die Utopien?
Man muss den Verdacht hegen, dass auch die Utopien künftig von den Googles ausgedacht werden. Google ist längst klar, dass die technischen Umwälzungen zu sozialen Verwerfungen führen werden, also wird einer von den vier apokalyptischen Reitern Google, Facebook, Apple und Amazon Gesellschaftsscouts ausbilden und die werden dann passende positive Utopien herausbringen.
Haben Sie die Politik und die Parteien abgeschrieben?
Ich denke, dass die Googles viel genauer hinhören. Deren Motto lautet: Wir können alles, wir können auch intellektuell. Die werden also ein positives Bild von der Zukunft malen, das nicht dumm daherkommt. Es ist erschreckend zu sehen, wie fragmentiert im Angesicht von all dem die Gegenöffentlichkeit ist.
Und visionsfrei.
Ja. Da spielt eine Rolle, dass sich Intellektuelle heute nicht mehr gemeinsam für etwas solidarisieren. Das ist ein wichtiger Unterschied zu 1968, da hat man sich sogar für jeden Blödsinn solidarisiert, weil das ein elementarer Teil des politischen Selbstverständnisses war. Heute sind die meisten Intellektuellen entweder vernagelt in ihren universitären Departments oder als selbstständige Unternehmer unterwegs und als solche nicht solidarisierungsfähig.
Oder sie haben grad keine Zeit.
Keiner hat Zeit. Die grauen Herren des technischen Fortschritts haben uns die Zeit weggenommen. Das lähmt die Gesellschaft.
Ja, aber wir haben jetzt Zeit, Sie haben jetzt Zeit, also machen wir was draus.
Ich weiß, sie wollen Lösungen, aber ich versuche über das Sortieren der Probleme zu den Lösungen zu kommen. Jede Zukunftsutopie wird mit einer Welt leben müssen, in der Globalisierung und Digitalisierung weitergehen werden. Also müssen wir versuchen, daraus etwas Gutes für möglichst viele Menschen zu machen. Da gibt es einige Anhaltspunkte, was man tun müsste, um sie human zu gestalten.
Kriegt man dafür Mehrheiten?
Dafür kann man sehr breite Bündnisse kriegen. Ich will mal ein kleines Beispiel geben: Die Angst vor den vier Großen des Silicon Valley ist in allen Wirtschaftszweigen riesig. Die sagen nicht, wir sind für den ökonomischen Fortschritt und deshalb sind wir für Google, sondern wir sind für den ökonomischen Fortschritt und deshalb sehen wir uns von Google extrem bedroht.
Worauf wollen Sie hinaus?
Es braucht eine Agenda zum Schutz der Wirtschaft vor bestimmten Geschäftsmodellen. Wenn Google selbstfahrende Autos auf deutsche Straßen schickt, die sie nicht gebaut haben, dann ist das parasitär. Das Gleiche gilt, wenn wir ganz viele Glasfaserkabel in den Boden legen müssen, damit amerikanische Konzerne damit Fantastilliarden generieren. Wer das benutzen will, der muss eine Maut bezahlen. Das wäre mal eine vernünftige Maut, denn sie würde überhaupt erst die Konkurrenzfähigkeit der zurückgebliebenen europäischen Wirtschaft ermöglichen. Das wäre ein Bündnis, nicht gegen Technik, sondern aus einem vitalen Interesse an einer gesunden Volkswirtschaft heraus. So könnte ich jetzt von Branche zu Branche weitermachen. Was Paypal mit Banken macht, was auf Versicherungen zukommt. Wie die Netflixe das Privatfernsehen erledigen.
Wozu wollen Sie das Privatfernsehen retten?
Klar ist das eine Branche, die mir nicht so leid tut. Aber man könnte auch sie als Bündnispartner gewinnen. Man muss den Leuten in der Wirtschaft helfen, sich selbst zu verstehen. Was sie können, ist, ihre Unternehmen zu führen. Was es braucht, ist, ihren Blick auf das Ganze zu weiten und auch die entsprechenden Verbände für diese Gedanken zu öffnen.
Da wäre zu überlegen, wie einzelne Gruppen, Arbeitgeber, Gewerkschaften, öffentliche Interessen zusammenkommen.
Genau, aber Gewerkschaften stammen aus dem 19. Jahrhundert und sind nach dem Modell des 19. Jahrhunderts strukturiert, vertraten Arbeiterschaft und irgendwann auch die Angestellten. Jetzt wird dauernd erklärt, dass man im 21. Jahrhundert auf einem Markt seine Arbeitskraft auktioniert und dass jeder ein Leben lang lernen muss, aber nie mehr irgendwo bleibt, sondern als Arbeitsnomade ausgebeutet wird. Das müsste das zentrale Thema der Gewerkschaften heute sein. Ist es aber überhaupt nicht. Stattdessen versuchen sie, auf den Arbeitsmarkt von gestern eine weitere Zementplatte draufzulegen, obwohl völlig klar ist, dass der nicht erhalten bleibt. Da ist die Frage also: Wie kann man mit Gewerkschaften darüber reden? Sie müssten ja etwas anbieten, sodass sie unter völlig veränderten Vorzeichen mächtig bleiben.
Positiv gedacht?
Man müsste die, die mehr Zeit haben als Gewerkschaftsbosse, mit denen direkt zusammenbringen, um über diese Frage nachzudenken. Das gleiche gilt auch für Unternehmerverbände.
Mehr Demokratie wagen, das war vorn in der Ära Brandt. Was wäre das heutige Äquivalent?
Mehr Utopie wagen.
Das Wort Utopie zieht?
Ja, das Wort hat eine Renaissance, die Zeiten sind vorbei, als wir froh waren, keine Flausen im Kopf mehr zu haben. Es gibt ein ganz starkes Utopiebedürfnis.
Eigentlich brauchen wir eine Judostrategie. Also die dynamischen Angriffe derjenigen, die die Entwicklungen treiben, aufnehmen und in die andere Richtung drehen. Aus dieser Operation heraus könnte sich eine Geschichte erzählen lassen, von der wir immer geträumt haben. Auf der Basis der Abschaffung entfremdeter Arbeit – und mehr Digitalisierung.
Das wäre dann Anti-Welzer?
Denken wir es durch.
Die zentrale Wende besteht darin, dass die Gesellschaft sich als Entwickler des Fortschritts versteht und nicht als Kritiker.
Man muss aus dem Modus der routinierten Kritik raus, sagt Milo Rau, und funktionsfähige Gegeninstitutionen aufbauen.
Ja, man muss Bilder malen, Angebote machen, zeigen, wo ein Weg hinführt und was rauskommt, damit Leute entscheiden können, ob sie das wollen und ob das in ihrem Interesse ist. Die Linke ist lange ein Treiber der sozialen Entwicklung gewesen. Nach Ende des Kalten Krieges hat sie diese Position verloren und ist in die Nachhutposition des Motzens und Mäkelns reingekommen.
Definieren wir also, wo vorn ist. Was sind die zivilisatorischen Essentials der nächsten Gesellschaft?
Ein Macron ist in Deutschland schwierig, aber denkbar. Die Leute würden einen Retromann wie Guttenberg wählen, wenn der eine Partei gründen würde, aber auch eine Linksliberale, wenn sie eine neue Partei gründen würde. Weil die Bindung nicht mehr da ist und die Unzufriedenheit riesig. Aber wir müssen uns gar nicht mit Parteien beschäftigen, sondern es geht darum, den Zeitgeist voranzubringen. Und wenn etwas Zeitgeist ist, dann werden die Parteien das aufnehmen, und zwar alle. Den Geist von 1968 hätte die CDU nicht aufnehmen können, aber heute kann jede Partei außer der AfD aufnehmen, worüber wir hier reden.
Weht der Zeitgeist in Europa gerade nicht stark nach hinten?
Die populistische Rechte hat nirgendwo ein Zukunftsbild, auch die Liste Kurz in Österreich nicht. Das ist ja das Gute an der Geschichte. Hitler hat den Menschen wirklich was versprochen und in den ersten Jahren seine Erfolgsbilanzen präsentieren können. Beim Front National, der AfD oder Trump sind ja keine Erfolge sichtbar. Und im Gegensatz zu Hitler auch keine Zukunftsbilder.
Aber auch viele Linksliberale stecken in der modernen Gesellschaft fest und im Modus einer unproduktiven ästhetisch-moralischen Kritik.
Jüngere nicht, finde ich. Ich glaube, dass es darum geht, klarzumachen, dass die sogenannte Gegenöffentlichkeit nicht gegen, sondern für etwas ist. Sie muss das Gefühl vermitteln: Hey, wir sind euch weit voraus. Wir haben schon viel Zukunft durchdacht, nicht nur die Probleme, sondern auch die Lösungen.
Die Gegenöffentlichkeit hat das Geschäftsmodell »dagegen sein«.
Wir sind die neue Füröffentlichkeit. Der Begriff ist etwas zu weich, aber inhaltlich trifft er es.
Was ist Ihre digitale Lieblingsutopie?
Das Ende der klassischen Lohnarbeit, der spezialisierten Arbeit, dass man ein Leben lang dasselbe machen muss: Das finde ich sehr befreiend für eine Gesellschaft. Dieses alte Urbild des Kommunismus ist eines der großen Versprechen der Digitalisierung. Und es ist breit gesellschaftlich anschlussfähig.
Viele machen sich in die Hosen davor.
Klar gibt es ein paar, die sich überfordert fühlen, aber es trifft das Lebensgefühl aller jüngeren Menschen. Dafür kann man die Bedingungen definieren und dann ist man beim bedingungslosen Grundeinkommen und beim veränderten Bildungssystem, weil das intrinsische Motivation braucht, die nicht von der Schule abgetötet werden darf. So kann man auch andere Bereiche durchdeklinieren.
Wie begegnen Sie der digitalen Dystopie des totalen Freiheitsverlustes?
Es gibt Karnevalisierungsprogramme für den Computer, die neben dem Pfad, der gegangen wird, Millionen Unsinnspfade anlegen, sodass kein User mehr ausgespäht werden kann. Man kann also ein Gesetz beschließen, dass kein Computer in Deutschland verkauft werden darf, der dieses Programm nicht drauf hat. Es liegt dann am Einzelnen, es einzuschalten oder nicht.
Und weiter?
Wenn man sich gegenseitig die Daten verkauft, dann steigt das Bruttoinlandsprodukt nicht, es wird erst dann interessant, wenn über Daten etwas Neues hervorgebracht wird, was einen volkswirtschaftlichen Nutzen hat.
Daten sind nicht gleich Daten?
Es ist ein Unterschied, ob jemand mich am PC ausspäht oder ob ich etwas mache, was zum Beispiel eine veränderte Mobilität ermöglicht. Diese Unterscheidung ist wichtig, denn es geht bei der Datenhuberei ja auf der ersten Ebene darum, den Leuten noch mehr anzudrehen, mehr ist das ja nicht. Das Programm wäre also ein Gewinn in doppelter Hinsicht, erstens Schutz der Persönlichkeitsrechte, zweitens, dass die ganzen Daten nicht von denen ausgewertet werden, die das derzeit machen und bei uns keine Steuern zahlen. Das wäre volkswirtschaftlich sehr sinnvoll.
Digitalisierung ist ein Sachverhalt. Normativ haben wir den Wunsch, eine freie Gesellschaft zu haben, dafür müssen wir etwas entwerfen.
Also müssen wir als Erstes sagen, was wir uns alles wünschen. Aber dieser Wunschzettel kann nicht auf dem Status quo beharren. Es werden also ganz viele Menschen keine Arbeit haben oder nicht der gleichen Arbeit nachgehen. Wir brauchen also das bedingungslose Grundeinkommen. Durch das Grundeinkommen steigt das Gehalt für die unteren Berufe, etwa schwere Pflegedienste, weil die sonst keiner mehr macht. Das ist schon mal gut. Andere Tätigkeiten werden durch die Digitalisierung billiger, und zwar alles, was ich roboterisieren kann.
Jetzt mal ganz konkret: In dreißig Jahren gibt es kein Autowerk mehr in Wolfsburg. Was wird dann Schönes aus der Stadt?
Aus meiner Kenntnis dieser Industrie ist die Utopie für Automobilkonzerne Banken zu werden, Verkehrslogistiker, die Mobilitätskonzepte anbieten, und Luftfahrt und Waffen. Da sind die meistens eh schon drin.
Was machen die fünfzigtausend Wolfsburger, die bisher täglich morgens ins Werk gehen und am Monatsende mit fünftausend brutto rauskommen und denen es gut geht?
Das ist ein reales Problem, das ich an einem anderen Beispiel beschreiben will. Busfahrer wird es in absehbarer Zeit nicht mehr geben, weil die Busse automatisch fahren. Für einen Busfahrer, sagen wir, 55 Jahre alt, gibt es keinen adäquaten Beruf, in den er reinschlüpfen kann. Er könnte eine Kaffeebude aufmachen oder auf Basis seines Grundeinkommens einen Kinderspielplatz bauen.
Das ist ja sehr wahrscheinlich.
Wir wissen, dass neunzig Prozent der Busfahrer weder das eine noch das andere machen würden. Die Wahrscheinlichkeit, dass sie nicht kreativ werden, sondern destruktiv und depressiv, ist deutlich höher. Jetzt kann man aber sagen, das wächst sich raus. Der Busfahrer ist einfach nur Frührentner, und irgendwann im Laufe der nächsten zwanzig, dreißig Jahre ist das Problem weg. Dann kommt eine Generation, die durch ein anderes Bildungssystem überhaupt nicht mehr auf Erwerbsarbeit programmiert ist. Wenn für die genug Möglichkeiten da sind, sich zu entfalten, finde ich das nicht schlecht.
Wenn wir uns noch ein paar Jahre neidgetrieben sorgen, dass Menschen in der Hängematte liegen könnten, setzt das Silicon Valley das Grundeinkommen durch, weil sie Arbeitsplätze vernichten, aber User mit Kleingeld brauchen, damit ihre Daten einen Wert behalten.
Ja, aber es gibt noch eine andere Gefahr: Sozialabbau. Die FDP liebäugelt mit dem Grundeinkommen am stärksten, weil man damit soziale Errungenschaften abbauen könnte, die die Sozialdemokratie über Hunderte Jahre erkämpft hat. Wir haben hier ein eigenartiges Bündnis von Esoterikern und Zynikern für das Grundeinkommen.
Was sind die zivilisatorischen Essentials der nächsten Gesellschaft?
Ich habe nie verstanden, warum man ausgerechnet Arbeit besteuert. Das ist einer der seltsamsten Gedanken der Menschheitsgeschichte. Und wenn wir in einer Gesellschaft leben, in der im Vergleich zu den jetzt Beschäftigten die Hälfte ohne Erwerbsarbeit ist, dann wird es noch absurder. Mein Vorschlag: Wir besteuern jede Form von Finanztransaktionen. Jede, überall, mit einem Prozent. Dagegen können allenfalls Finanzspekulanten sein. Aber eine normale Sparkasse muss nicht dagegen sein. Der ist es egal, ob von einer Abhebung ein Prozent an den Staat geht. Damit hat man einen starken Gerechtigkeitshebel: Wer viel Geld bewegt, der zahlt auch viel Steuern. Damit ist man in der Lage, die Fliehkräfte von Arm und Reich auszugleichen. Das Geld der Finanzindustrie fließt dadurch in die Realwirtschaft.
Was ist der nächste Schritt, um das wahrscheinlicher zu machen?
Es so oft zu sagen, dass die Parteien gute Argumente dagegen finden müssen. Zunächst weiß ja keiner, ist das rechts, ist das links, wer gewinnt, wer verliert? Das gefällt mir. Du bestimmst, wie hoch deine Steuern sind, denn das richtet sich danach, wie viel du ausgeben willst.
Im Gegensatz zu Ihnen gehen andere nicht von dramatisch weniger Erwerbsarbeit aus. Historisch habe mehr Effizienz und erhöhte Produktivität stets zu mehr Beschäftigung geführt, heißt es.
Diese Logik gilt nur unter der Bedingung ständig wachsender Märkte. Wir haben es mit einer Globalisierung zu tun gehabt, die globalisiert hat, was zu globalisieren war. Das, was noch fehlt, Kongo oder Somalia, kommt auch in den nächsten zwanzig Jahren nicht dazu. Man kann die Effizienzsteigerungen nicht mit einer weiteren Vergrößerung des Kuchens ausgleichen. Deshalb ist große Arbeitslosigkeit sehr wahrscheinlich. Und dieser Crash wird entweder einen rechten oder reaktionären oder einen progressiven Visionär hervortreiben. Da bin ich ziemlich sicher.
Wie ist das mit dem Naturverhältnis? Wie geht das auf der Grundlage einer digitalisierten Gesellschaft?
Die gleichzeitige Notwendigkeit von radikaler Verzichtskultur und qualitativem Wachstum stärker zu verankern, ist wichtig. Und da versagen die Grünen, weil sie sich eindeutig auf eine Position des Nichtverzichts festgelegt haben.
Effizienz ist keine Lösung.
Komplexitätsreduzierung auch nicht. Mein Freund Elmar Anhalt beschäftigt sich mit Komplexität und seine These lautet, dass jeder Versuch der Komplexitätsreduzierung die Komplexität erhöht. Dasselbe passiert beim Versuch der Reduzierung des Naturverbrauchs durch Effizienz: Der gegenteilige Effekt tritt ein.
Bedeutet für die Lösung des Mobilitätsproblems?
Mehr Verkehr heißt ja weniger Mobilität. Wenn wir mehr Mobilität wollen, brauchen wir weniger Verkehrsteilnehmer. Diese Paradoxie muss man produktiv machen. Um diese Falle zu überwinden, dass das Versprechen des Weniger durch technischen Fortschritt am Ende doch immer mehr heißt, mehr Ressourcen, mehr Zeit, mehr Papier, mehr Aufwand.
Es gibt riesige Apparate, die im Streben nach Effizienz immer mehr Kommunikation erzeugen, mehr Mails, mehr Vermerke, mehr Protokolle.
Es gibt ein unglaublich gewachsenes Kommunikationsbedürfnis und permanente Mikroabstimmung, weil die Leute im Bestreben, Redundanzen zu vermeiden, eine absurde Menge an Kommunikation anhäufen. Es gibt übrigens auch einen Autoritätsverlust durch erhöhte Kommunikation. Und einen Authentizitätsverlust, was man bei Politikern sieht. Wenn ich mich mit allen und jedem abstimmen muss, wie soll ich am Ende eine Position authentisch verkaufen?
Man muss also weniger kommunizieren und weniger partizipieren, nur so reduziert man die Redundanzen. Wenig telefonieren, wenig E-Mails beantworten.
Richtig.
Pling pling – wer kriegt hier eigentlich dauernd SMSe?
Ich. Aber ich muss da nicht immer sofort nachschauen.
Wie kann man die Spaltung der Gesellschaft durch ungebremste und ungesteuerte Digitalisierung verhindern?
Die Fragen lauten: Welche technischen Lösungen braucht es? Und wie sorgt man dafür, dass das Geld nicht komplett bei den gegenwärtigen Profiteuren landet, sondern in einen gesellschaftlichen Kreislauf reinkommt und in neue Bereiche wie Grundeinkommen und Bildung geht? Dafür habe ich Vorschläge gemacht.
Aber?
Die schwierige Frage ist die psychologische. Wir leben in einer Arbeits-, Tüchtigkeits-, Leistungsgesellschaft. Das geht zu Ende. Nun ist das Wort Leistung positiv konnotiert, das macht es schwierig. Aber die Utopie lautet, dass wir rausgehen aus einer Gesellschaft, in der der Mensch danach bewertet wird, was er – in Erwerbsarbeit – geleistet hat. Und die gute Voraussetzung dafür ist: Wir leben ja in Wahrheit gar nicht in einer Leistungsgesellschaft. Wenn ein Millionär seine Häuser vererbt, hat der Erbe nichts geleistet und kriegt trotzdem hohe Anerkennung. Wir leben in Wirklichkeit in einer Gesellschaft, die nicht Leistung bewundert, sondern Erfolg. Oder Geld. Klarzumachen, dass der Ausstieg aus der Leistungsgesellschaft ein positives Versprechen ist, ist das, was bei Vorträgen vor Managern am schwierigsten zu vermitteln ist.
Was ist das Gegenargument?
Es wird immer gesagt, der Mensch sei so. Da sage ich: Liebe Freunde, dieses Bild ist in der ersten industriellen Revolution entstanden. Der alte Grieche hat sich dadurch geadelt, dass er nicht gearbeitet hat. Wenn man sagt, damals haben aber die Frauen, Sklaven und Ausländer gearbeitet, dann kann man sagen, ja, aber künftig arbeiten die Roboter für uns. Das ist doch ein Gesamtmenschheitsversprechen. Platon hat sich doch nicht nutzlos und wertlos gefühlt, weil er keiner Erwerbsarbeit nachging. Es geht darum, zu verstehen, dass wir uns in einem kleinen Zeitfenster auf etwas konditioniert haben, was wir mit der conditio humana verwechseln.
Sind ja nur zweihundert Jahre.
Und diese zweihundert Jahre gehen jetzt zu Ende. Und deshalb können wir bei der Frage der selbstbestimmenden, selbstverwirklichenden Arbeit auf eine nächste Stufe kommen. Das ist jetzt schon das große Problem, dass die, die zu viel haben, über ein Sinndefizit klagen, und die, die nicht an den Segnungen teilnehmen, auch. Dann ist doch die Antwort auf das miese Gefühl, wo Sinn viel zu weit entfernt ist von Tätigkeit, dass wir das aufheben.
Wir wollen die Roboter?
Auf der sinnlichen Ebene finde ich die totale Abhängigkeit von Maschinen nicht angenehm, von selbstfahrenden Autos und Robotern, die miteinander kommunizieren. Aber es geht hier um die ethische Ebene, es geht um die Frage, wie wird das Leben der meisten Menschen besser?
Also Roboter dafür, dass wir Sinn und Freiheit zugleich gewinnen. Aber nochmal: Was ist mit dem Naturverhältnis?
Was ist mit dem Niko-Paech-Gedanken, dass Google die Endgeräte selbst entsorgen muss und nicht den Müllkippen von Schwarzafrika überlässt? Ein Supergedanke, der aber nur funktioniert, wenn es alle machen, das ist kapitalintensiv, das geht nur global.
So wie Ulrich Beck mal vorgeschlagen hat, dass Atomkraftwerke versicherbar sein müssten?
Du musst Kosten internalisieren, von denen du nicht weißt, wie hoch sie sein werden, also musst du sie versichern, mit einer Exnovationsversicherung.
Exnovation heißt Ende einer Innovation?
Richtig. Ein neues Geschäftsmodell, das viele Produkte vom Markt bringen würde, weil die Entsorgung in keiner Relation zu den Gewinnen steht. Beim Exnovationsgedanken kann man darauf kommen, dass neue Branchen entstehen. Wenn wir da Weltmarktführer werden, könnte das marktwirtschaftlich interessant sein. Ich finde das Wort Weltmarktführer so schön.
Das taz.FUTURZWEI-Gespräch fand in Frankfurt in einem Hotel mit Mainblick statt. Es gab Wasser und Kaffee.