Zukunft der Berliner Charité: Geliebte Schrottimmobilie
Abriss oder Sanierung: Das Bettenhochhaus in Mitte steht wieder zur Disposition. Heute soll der Aufsichtsrat über die Zukunft des Standorts entscheiden. Bis Ende des Monats will der Senat ein Konzept sehen.
Die Fassade bröckelt, es regnet hinein, und doch hängt das Herz daran: Das Bettenhochhaus in der Luisenstraße in Mitte ist zum Symbol für den Zustand der Charité geworden. Dazu passt, dass keiner so recht weiß, wie es mit dem 85 Meter hohen Gebäude weitergehen soll - in regelmäßigen Abständen werden neue Vorschläge in die Öffentlichkeit getragen. Am heutigen Freitag nun soll der Aufsichtsrat der Uniklinik entscheiden, ob das Hochhaus saniert oder abgerissen und durch einen Neubau ersetzt wird. In dem Gremium sitzen sowohl Wissenschaftssenator Jürgen Zöllner (SPD) als auch Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos), die bisherige Entscheidungen zur Charité eher zum Kräftemessen denn zu einigem Auftreten nutzten.
Bei der Charité ist der Investitionsbedarf in den letzten Jahren deutlich gewachsen. Im Sommer bewilligte der Senat der landeseigenen Uniklinik 330 Millionen Euro. Hauptsanierungsgebiet sollen der Standort Mitte und damit vor allem das marode Hochhaus sein. Seit Anfang September Dekanin Annette Grüters-Kieslich im öffentlichen Teil einer Fakultätsratssitzung erklärte, der Charité-Vorstand bevorzuge einen Neubau an der Luisenstraße, kochen Emotionen und Spekulationen. So hoch, dass das Unternehmen seine verunsicherten Mitarbeiter am Mittwochmorgen zu einer Versammlung lud.
Viel Neues indes erfuhren die Beschäftigten dort nicht. Charité-Chef Karl Max Einhäupl erklärte zwar, dass er Verständnis für die Sorgen der Mitarbeiter habe - er sagte ansonsten aber nur, dass es zwei kursierende Vorschläge zur Zukunft des Gebäudes gebe. Womöglich gab er sich auch deswegen vorsichtig, weil sich der dreiköpfige Vorstand aus Einhäupl, Dekanin Grüters-Kieslich und Klinikdirektor Matthias Scheller nicht einig ist. Bei den zwei Vorschlägen "weicht die Bewertung einzelner Details ab", hieß es.
Das Hochhaus mit 21 Stockwerken ist so gebaut, dass es wohl bei laufendem Betrieb saniert werden könnte. Es gibt im Prinzip zwei Gebäudeteile, mit eigenen Aufzugssystemen und Versorgungsstrukturen. Im Zuge der Reparaturen, Dämmungen und Umstrukturierung würden aus noch bestehenden Vierbettzimmern Zwei- oder Dreibettzimmer. Damit käme die Charité dem Abbau von insgesamt 500 Betten nahe, zu dem sie sich gegenüber dem Land verpflichtet hat. An den drei Standorten in Mitte, Steglitz (Benjamin Franklin) und Wedding (Virchow) gibt es derzeit 3.200 Betten.
Offen ist, ob einzelne Trakte an Firmen vermietet werden könnten. Schon jetzt werden nicht alle Etagen als Krankenhaus genutzt, sondern etwa als Bibliothek oder für Verwaltung. Der Vorsitzende des Gesamtpersonalrats Kilian Tegethoff gibt indes zu bedenken, dass ein Hochhausbetrieb ausschließlich als Uniklinik wohl am wirtschaftlichsten wäre.
Ein Neubau auf dem Campus Mitte würde kleiner und flacher ausfallen. Fraglich ist, in welchem Umfang am Standort dann noch geforscht werden könnte - oder die universitäre Forschung nach Steglitz und Wedding ausweichen müsste. Mitarbeiter im Hochhaus fürchten denn auch, dass ihr Standort mit einem Neubau geschwächt würde. Die allgemeine Aussage von Einhäupl bei der Betriebsversammlung, der Vorstand bekenne sich zu allen drei Standorten, dürfte da wenig beruhigend gewirkt haben. Wie viele Betten ein Neubau umfassen würde, scheint ebenfalls unklar.
Ausschlaggebend für den Aufsichtsrat dürften die Kosten und Einsparungen sein. Von den 330 Millionen Euro, die bewilligt wurden, ist ein erheblicher Teil schon verplant: 86 Millionen Euro für eine neue Vorklinik in Mitte, 20 Millionen Euro für die Sanierung von OP-Sälen in Steglitz, 5 Millionen Euro für Bauvorhaben am Virchow-Klinikum. Für Sanierung oder Neubau stehen folglich maximal 200 Millionen Euro zur Verfügung. Gerade Finanzsenator Nußbaum wird darauf schauen, dass die Kosten im Rahmen bleiben - während sein Kollege Zöllner eher der Erhalt der Forschungskompetenz am Herzen liegt. Auch gilt: Je billiger, desto mehr bleibt für den ebenfalls bröckelnden Campus Benjamin Franklin im Süden und das Virchow-Klinikum. Jegliche Entscheidung wird die interne Konkurrenz befeuern. Das Zusammenwachsen der Charité nach der Wende gestaltete sich ohnehin mühsam, alte West- und Ostberliner Eitelkeiten saßen tief, dazu kam die ständige Finanzknappheit.
Die Charité soll dem Senat bis 30. September ein Konzept zur Zukunft des Hochhauses vorlegen. Der Aufsichtsrat ist zu einer Entscheidung gedrängt, die Mitarbeiter hoffen auf ein klares Wort nach Jahren mit immer neuen Vorschlägen für das Bettenhaus. Sie sind frustriert. "Ich habe das Gefühl, die Politik fordert heraus, dass das Haus zerfällt, dann kann man es nämlich abreißen", sagte ein Beschäftigter am Mittwoch.
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