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Zukünfte des linken Medienhauses Zurück zur Utopie der taz

Hätte die taz Angst vor dem, was morgen kommt, sie wäre längst Geschichte. Auch den digitalen Wandel unserer Zeit nehmen wir als Ermunterung, über Zukünfte nachzudenken

Westberlin, Januar 1978, der TUNIX-Kongress an der TU Berlin verändert die Zukunft Foto: Raymond Depardon/Magnum Photos/Agentur Focus

Aus der taz | Wenn Sie diese Zeilen lesen, vollzieht sich mit der taz-Genossenschaftsversammlung 2024 ein weichenstellender – mit etwas Pathos gesagt: historischer – Schritt für die taz. Nämlich die Bekanntgabe des Termins zum Ende des werktäglichen Druckens der taz. Kurzum: unser Aufbruch in eine digitale Zukunft.

Dieser Moment soll Anlass für einen Werkstattbericht sein, den ich exemplarisch als einer der Mitarbeitenden verfasse, die qua ihrer Profession vor allem eines tun: über Zukünfte nachdenken.

Der Plural wird hier ganz ausdrücklich verwendet, denn die Zukunft bleibt offen. Schon die Antike beschäftigte das alte Problem der Futura contingentia, also das, was möglicherweise passieren wird, aber nicht notwendigerweise muss. „Es könnte auch anders sein“ – so Aristoteles.

Eine Utopie wagen

Dieses Nachdenken über morgen ist heute vor allem ein Nachdenken über Digitales. Ein einfacher Blick in den öffentlichen Nahverkehr bestätigt den Umbruch unserer Medienwelt. Papierrascheln? Fehlanzeige. Menschen halten heute Bildschirme in den Händen. Gerne folgt an Feststellungen dieser Art ein kulturpessimistischer Abgesang. Doch hier sei daran erinnert: Es könnte auch anders sein. Lassen Sie uns lieber eine kleine Utopie skizzieren.

Es ist 2034, die demokratische Vertrauenskrise und anhaltende Flut von Fake News hat dem Journalismus ungeahnten Aufschwung beschert. Paywalls zur Monetarisierung journalistischer Inhalte haben sich inzwischen auf den Websites aller Medienhäusern durchgesetzt.

Alle Medienhäusern? Nein. Die taz ist dem Grundsatz des kostenfreien Zugangs zu Journalismus treu geblieben. Menschen unterstützen diese Idee so selbstverständlich wie ihren Streamingdienst, sodass die taz nunmehr zwei Drittel ihrer Erlöse aus dem freiwilligen Bezahlmodell taz zahl ich bezieht.

Mehr denn je bewegen sich Nutzende spielerisch zwischen Kanälen – egal ob gedruckte wochentaz, Podcast, Social Media, taz-KI oder News-App. Schöne neue Welt!

Seitenwende?

Was ist die Seitenwende und warum machen wir das? Unser Info-Portal liefert ihnen weitere Hintergründe, Einblicke und Ausblicke: taz.de/seitenwende

Sechs Jahre nach dem Szenario 2022

Willkommen zurück. Nun also verkünden wir das, was wir die Seitenwende nennen. Mit ihr gibt es einen klaren Punkt, an dem die letzte werktägliche taz-Ausgabe über die Druckwalzen geht. Da Sie als Le­se­r*in entsprechend aufmerksam sind, haben Sie nun ein Déjà-vu. Ursprünglich wurde ebendieser Schritt bereits vor sechs Jahren verkündet – damals noch unter dem Banner Szenario 2022.

Dass der Schritt erst jetzt kommt, hat gute Gründe. Verfrüht wäre er wirtschaftlich nicht tragbar gewesen. Das ist heute nicht mehr so: Mit unserer Website taz.de erreichen wir mehr Menschen denn je, inzwischen unterstützen 38.700 Le­se­r*in­nen das Solidarmodell taz zahl ich. Schon jetzt liegt die wochentaz über den von uns anvisierten Planzahlen. Wenn sich diese Entwicklung fortsetzt, gelingt die digitale Transformation des linken taz-Projekts.

Das oben beschriebene Szenario 2034 ist, Sie ahnen es bereits, nur eine Möglichkeit unter vielen. Dieses grundsätzliche Kontingenzproblem kaschiert man für gewöhnlich mit heroischen Führungsgesten und linearem Fortschrittsdenken. Ich bin froh, dass wir in der taz einen anderen Stil pflegen. Eine Strategie braucht es dennoch, und ich kann Ihnen versichern: Unsere Entschlossenheit ist groß.

Warum wurde die taz eigentlich gegründet?

Das, was hier und heute für die Zukunft Halt gibt, liegt paradoxerweise in der Vergangenheit. So ist das aktuelle Nachdenken über Zukünfte vor allem geprägt von einer Rückbesinnung auf den Gründungsmoment der taz. Jenes Momentum beim tunix-Kongress 1978, das inmitten von Krise das vermeintlich Unmögliche möglich machte – eben weil es notwendig war.

Würde man heute die taz neu gründen, würde man nicht über eine auf Papier gedruckte Zeitung nachdenken. Wohl aber über die Bedeutung von unabhängigem Journalismus, seiner freien Zugänglichkeit für alle Menschen sowie über Gegenöffentlichkeit und Solidarität. Es sind eben diese Werte, die die taz ausmachen – ganz gleich auf welchem Trägermedium sie stattfindet.

Auf diesen Prinzipien, die als strategische Lotsen dienen, baut auch die starke Bande zwischen taz und Leser*innenschaft. Und die braucht es mehr denn je, um aus möglichen Zukünften eine wünschenswerte zu machen. Ohne Ihren Rückhalt als ­Le­se­r*in wird das Vorhaben scheitern. Dabei ist uns bewusst, dass wir Ihnen und der taz als Organisation viel abverlangen.

Wahrheitsansprüche

Entgegen populären Annahmen sind Transformationen äußerst zähe Angelegenheiten, die uns Tag für Tag aufbürden, in Auseinandersetzungen zu gehen, Annahmen zu hinterfragen, Neues auszuprobieren und Gewohntes loszulassen. Im Zweifelsfall sogar Entscheidungen mitzutragen, die man selbst anders getroffen hätte.

Damit besteht der schwierigste Teil der Aufgabe darin, beim Nachdenken über Zukünfte auf eigene Wahrheitsansprüche zu verzichten. Und sich stattdessen immer wieder vor Augen zu halten: „Es könnte auch anders sein.“

Angesichts der Kontingenz von Zukünften gibt es den einen „richtigen“ Weg nicht. Sich dennoch für einen zu entscheiden und ihn gemeinsam zu gehen – eben das ist Strategie. 🐾

🐾 Matthias Ziegenhain, Jahrgang 1986, ist Referent der Geschäftsführung für Strategie. Er liest seit seiner Jugend taz.

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