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Archiv-Artikel

„Zugeben würde ich das nie“

VON THOMAS LEIF

„Wenn sich jemand als Lobbyist bezeichnet, weist er sich als Dilettant aus.“ So charakterisierte der „Kommunikationsberater“ Klaus Kocks vor wenigen Tagen in der Wiener Wirtschaftskammer sein Geschäft. „Natürlich mache ich Lobbyismus“, ergänzte Kocks kokett, „aber zugeben würde ich das nie.“

Klaus Kocks folgt der gängigen parlamentarischen Leitkultur. Danach ist „Lobbying das Durchsetzen von Interessen gegen den Widerstand anderer“. Kocks sprach aus, was auch für den früheren Vorsitzenden der christlich-demokratischen Arbeitnehmer (CDA) und den noch amtierenden CDU-Generalsekretär gilt: Lobbyismus macht man, aber man spricht nicht drüber.

Hermann-Josef Arentz musste seine politische Karriere beenden, weil er 60.000 Euro im Jahr von RWE Power AG kassierte, ohne dafür eine Gegenleistung erbracht zu haben. Diese Legende verbreiten selbst Eingeweihte in Politik und Medien. Die Empörung galt vor allem dem süßen Nichtstun, der Abzocker-Mentalität eines moralisierenden Politikers ausgerechnet vom Sozialflügel der Union. Der Gedanke, dass RWE gezielt einen Lobbyisten bezahlte bzw. diesen „anfütterte“, hat die Kommentatoren bisher noch nicht bewegt.

Dabei erfüllt Arentz nahezu das Idealprofil eines Lobbyisten. Als Mitglied in den Spitzengremien der CDU verfügte er über alle relevanten internen Vorlagen und Informationen zu Personal- und Strategieplanung – ein ideales Frühwarnsystem für einen großen Energiekonzern, der von Lobbyisten den wertvollen Rohstoff Information aus erster Hand kauft. Arentz kannte den parlamentarischen Betrieb wie seine Westentasche – er konnte die „richtigen Leute“ in Parlament und Ministerialbürokratie zum „richtigen Zeitpunkt“ vermitteln. Und schließlich legen große Unternehmen Wert auf Direktkontakte zum politischen Spitzenpersonal – Arentz vermochte die gewünschten Kontakte schnell und geräuschlos herzustellen. Drei Schlüsselqualifikationen, die RWE 60.000 Euro wert waren.

RWE bessert Diäten auf

Ähnlich gelagert ist der Fall des CDU-Generalsekretärs, der seine fein abgestuften RWE-Zahlungsmodalitäten nach und nach der Öffentlichkeit präsentiert. Auf die drei genannten zentralen Lobby-Leistungen konnte RWE auch bei Laurenz Meyer zurückgreifen. Mit gezielten Indiskretionen konnte ja schließlich niemand rechnen. Von den RWE-Geldtransfers erfährt der interessierte Bürger auf der Website des Bundestages unter „Veröffentlichungspflichtige Angaben“ nichts (www.bundestag.de/mdb15/bio/M/meyerla0.html). Immerhin informiert Meyer dort freiwillig über seine Aufsichtsrats-Mitgliedschaft beim „Dachdecker Einkauf West eG, Hamm“ und seine Geschäftsführertätigkeit bei der „Gesellschaft zur Verwertung von Grundbesitz der Erben Christian Nölle mbH“.

Der Fall Arentz sei – so RWE-Vorstandschef Harry Roels – „nicht optimal behandelt worden“. Ein Ärgernis, zumal der Energiekonzern die Klaviatur des politischen Lobbyings nahezu perfekt beherrscht. Mehr als 200 RWE-Mitarbeiter sind in der Politik, meist ehrenamtlich, aktiv; wer im Europaparlament, Bundestag oder Landtag dient und durch die Übernahme des Mandats hinter der RWE-Einkommensentwicklung zurückbleibt, erhält gar einen Finanzausgleich. RWE bessert die Diäten auf.

Auf solch großzügige Vergünstigungen können sich auch hunderte Landräte, (Ober)-Bürgermeister und andere hauptamtliche Kommunalbeamte verlassen. Etwa dreimal jährlich kommen sie regional gestaffelt im „Beirat RWE Energie AG“ zusammen und kassieren dafür rund 4.000 Euro. Hier sprechen sie über Tarifsysteme, Fusionen, Rabatte, Strombezugspflichten und Sammelleitungs-Verträge. Ganz privat. So sieht das jedenfalls das rheinland-pfälzische Innenministerium: Dies seien „Nebentätigkeiten im privaten Bereich“. Die kommunalen Spitzenpolitiker seien als „Privatpersonen und nicht als Vertreter ihrer Dienstherren Mitglied im Beirat der RWE Energie AG“. Es existiere deshalb keine Ablieferungspflicht, urteilt das für die Kommunalaufsicht zuständige Innenministerium (Landtag RLP, Drucksache 13/5586 vom 28. 3. 2000). Formal wird diese Praxis damit begründet, dass „die Mitglieder aufgrund ihrer besonderen Kenntnisse und Erfahrungen ,ad personam‘ berufen“ werden.

Über diese Grauzonen-Interpretation kann ein Landrat, selbst Mitglied in diesem Beirat, nur schmunzeln. „Umsonst ist der Tod“, fasst er zusammen. „RWE investiert nur, wenn sich dadurch ein Vorteil erzielen lässt. Alles andere widerspricht der Lebenspraxis.“ Die dienstliche „Beteiligungsverwaltung“ wird hier kurzerhand als „Privatangelegenheit“ etikettiert.

Auch in den „Regionalausschüssen des Verbandes kommunaler Aktionäre RWE“ wird Politik gemacht. Die Oberbürgermeister von Essen, Dortmund und Oberhausen sitzen im Aufsichtsrat von RWE. Übrigens auch Ver.di-Chef Bsirske und IG-Metall-Vize Huber. Politische Landschaftspflege lässt sich RWE etwas kosten – über das System schweigt der Konzern sich allerdings aus.

RWE ist kein Einzelfall. Nur durch gezielte Indiskretion aus dem Unternehmen kam das Thema in die Schlagzeilen. Ansonsten gilt branchenintern der von einem Manager des Pharmakonzerns Altana geprägte Leitsatz: „Unsere Lobbyarbeit ist nicht öffentlichkeitsfähig.“

An diesen Grundsatz halten sich auch die meisten Bundestagsabgeordneten. Die wöchentliche Arbeitszeit von 67 Stunden in Sitzungswochen hindert fast 30 Prozent der Parlamentarier nicht daran, Nebenjobs auszuüben. Dies ergab eine aktuelle, groß angelegte Studie der Universität Jena (www.uni-jena.de/PM041214_Bundestag.html). Die Auskunftsbereitschaft über diese opulenten Nebenjobs hält sich allerdings in engen Grenzen. Entsprechende Verhaltensregeln, die sich der Deutsche Bundestag auferlegt hat, sind so unverbindlich und unkontrollierbar wie Bankgeschäfte in Liechtenstein.

Im Internet wird die offizielle Begründung des Bundestages präsentiert: „Verbindungen zur Berufswelt sind im Übrigen auch gut für das Parlament. Abgeordnete mit ‚Nebenjobs‘ bringen Farbe ins Parlament.“ Solche naiven Begründungen für die Nebenjobs der Abgeordneten spiegeln das Verhältnis des Parlaments zu den Lobbyisten. Viele Abgeordnete genießen besonderes Ansehen, wenn das Parlament für sie nur Spielbein, die Wirtschaft Standbein ist. Dies widerspricht allerdings dem selbst zugeschriebenen Berufsethos als professionelle Politiker, die laut Grundgesetz-Artikel 38 an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur ihrem Gewissen unterworfen sind. Dafür haben sie laut Artikel 48 Anspruch auf eine angemessene, ihre Unabhängigkeit sichernde Entschädigung.

Zaudern seit 30 Jahren

Das Bundesverfassungsgericht sah die Gefahr der Instrumentalisierung schon 1975. Die „Gefahr einer Beeinträchtigung der Unabhängigkeit des Abgeordneten“ drohe „vor allem von einflussreichen Gruppen der Gesellschaft“. Seit 30 Jahren hat sich in dieser Frage nichts mehr bewegt; vor allem CDU und FDP blockieren klare Verhaltensregeln und einen überprüfbaren Veröffentlichungszwang für alle Abgeordneten-Einkünfte. Selbst Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) zaudert, wenn es um glasklare Transparenzregeln geht.

Die populären Fälle Arentz und Meyer haben nun sogar zwei amtierende Ministerpräsidenten auf den Plan gerufen. Kurt Beck und Peer Steinbrück (beide SPD) haben sich zu Wortführern für eine Offenlegung von Politikereinkünften gemacht. Sie fordern den gläsernen Abgeordneten, um den Bürgern das Gefühl der Transparenz zu vermitteln. Abzuwarten bleibt, ob auf diesen Zwischenruf weitere Initiativen und darauf eine nachvollziehbare Gesetzesänderung folgen.

Beck und Steinbrück müssen sich mit einer starken Lobby im Parlament anlegen. Denn wie heißt es so selbstbewusst und zugleich verschleiernd auf der Homepage des Bundestages zu den fraglichen Nebenjobs? „Nebeneinkünfte unterliegen strengen Verhaltensregeln. (…) Es gibt keine andere Berufsgruppe in Deutschland, die sich ähnliche Verpflichtungen auferlegt hat.“ Auf diese Bundestags-Prosa hatten sich auch Arentz, Meyer und RWE verlassen.