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■ Zufällig entdeckt: Ein Kochbuch von Jean-Paul SartreDas Omelette der Leere

Bei Aufräumarbeiten entdeckten wir mehrere Bände von Sartres verloren geglaubten Tagebüchern. Sie steckten zwischen den Kissen unseres Bürosofas. Diese Tagebücher offenbaren einen jungen Sartre, der keineswegs von der Leere besessen war, sondern vom Essen. Bevor er die Philosophie entdeckte, hatte Sartre offensichtlich gehofft, ein „Kochbuch zu schreiben, das alle Geschmacksvorstellungen für immer hinter sich läßt“. Hier einige Auszüge:

3. Oktober

Sprach heute mit Camus über mein Kochbuch. Obwohl er eigentlich nie gegessen hat, hat er mich doch sehr ermutigt. Ging sofort nach Hause, um anzufangen. Ich bin ganz aufgeregt! Begann mein Rezept für ein Omelette à la Denver.

4. Oktober

Arbeite noch immer am Omelette. Es gab einige Schwierigkeiten. Ich mache ein Omelette nach dem anderen, wie Soldaten, die ins Meer marschieren. Aber jedes von ihnen wirkt leer, hohl, wie Stein. Ich möchte ein Omelette schaffen, das die Sinnlosigkeit des Seins ausdrückt. Statt dessen schmecken sie nach Käse. Ich schaue sie auf dem Teller an, aber sie schauen nicht zurück. Versuchte, sie bei ausgeschaltetem Licht zu essen. Nützte nichts. Malraux schlug Paprika vor.

6. Oktober

Mir ist klargeworden, daß das traditionelle Omelette (Eier und Käse) bourgeois ist. Heute versuchte ich eines aus Zigaretten, etwas Kaffee und vier winzigen Steinen zu machen. Ich setzte es Malraux vor. Er kotzte. Ich bin ermutigt, aber mein Weg ist noch lang.

10. Oktober

Ich probiere immer radikalere Interpretationen traditioneller Gerichte aus in dem Versuch, irgendwie die Leere auszudrücken, die ich so schmerzhaft empfinde. Heute war mir besonders radikal zumute. Ich versuchte dieses Rezept: Thunfisch-Topf. Zutaten: Eine große Kasserolle. Stellen Sie die Kasserolle in den kalten Ofen. Rücken Sie einen Sessel vor den Ofen, und bleiben Sie ständig darin sitzen. Denken Sie darüber nach, wie hungrig Sie sind. Wenn es dunkel wird, kein Licht machen.

Dieses Rezept drückt zwar eine gewisse Leere aus, aber ich bin betroffen von seiner Unvereinbarkeit mit dem bürgerlichen Lebensstil. Wie kann der Esser wissen, daß das ihm verweigerte Gericht ein Thunfisch-Topf ist und nicht irgend etwas anderes? Ich werde immer verzweifelter.

25. Oktober

Ich bin gezwungen, das Projekt eines vollständigen Kochbuchs aufzugeben. Statt dessen suche ich nun lieber nach einem einzelnen Rezept, das aus sich heraus das Elend der Menschheit in einer Welt verkörpert, die von einem gefühllosen Gott regiert wird; das den Esser aber auch mit mindestens einem Bestandteil aus den vier elementaren Nahrungsmittelgruppen versorgt. Deshalb habe ich mir 30 Kilo Lebensmittel aus dem Laden an der Ecke kommen lassen, mich in die Küche eingeschlossen und mich geweigert, irgend jemanden hereinzulassen. Nach einigen Wochen Arbeit hatte ich ein Rezept entwickelt, für das man eine halbes Pfund Mehl braucht, ein Dutzend Eier, 11 Kilo Rindfleisch sowie eine Stange Lauch. Das ist zwar ein Anfang, aber ich fürchte, ich habe noch viel Arbeit vor mir.

15. November

Heute machte ich eine Schwarzwälder Kirschtorte aus fünf Pfund Kirschen und einem lebenden Biber – eine Herausforderung der grundsätzlichen Bedeutung des Begriffs „Torte“. Ich war sehr zufrieden. Malraux sagte, er bewundere sie außerordentlich, könne aber nicht zum Nachtisch bleiben. Trotzdem, ich fühle, daß dies meine bisher profundeste Leistung war. Habe beschlossen, damit an Betty Crockers Backwettbewerb teilzunehmen.

30. November

Heute war der Tag des Backwettbewerbs. Leider liefen die Dinge nicht so, wie ich gehofft hatte. In der Bewertungsrunde wurde der Biber ganz aufgeregt und biß Betty Crocker ins Handgelenk. Die Zähne eines Bibers sind in der Lage, in weniger als zehn Minuten eine Blaufichte zu fällen. Überflüssig zu sagen, daß die zarten Glieder von Amerikas berühmtester Hausfrau Streichhölzer für ihn waren. Ich kam nur auf den dritten Platz. Zusätzlich habe ich ein ekelhaftes Gerichtsverfahren am Hals.

1. Dezember

Ich habe in den vergangenen zwei Monaten 25 Pfund in der Woche zugenommen und durchlebe nun leichte Tiefpunkte. Es ist dumm, so fett zu sein. Meine Qual und höchste Einsamkeit sind noch genauso echt wie in meinen dünnen Zeiten. Allerdings scheinen sie die Mädchen weniger zu beeindrucken. Ab sofort werde ich von Zigaretten und schwarzem Kaffee leben. Alastair Sutherland

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