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Archiv-Artikel

Zu spät – nach 33 Jahren Deutschland

Seine Frau und seine Kinder werden in Hamburg eingebürgert, Azzam I. nicht. Ausländerbehörde und Verfassungsschutz halten den 56-jährigen Palästinenser für einen Islamisten, Belege dafür aber haben sie nicht. Nur überholte „Erkenntnisse“

„Die jungen Leute haben Angst, gleich als Terroristen angesehen zu werden“

von Reiner Scholz

Azzam I. ist ein kleiner, freundlicher Mann mit grauen Haaren. Er kam vor 33 Jahren aus Palästina nach Deutschland und ist heute 56 Jahre alt. Fast sein gesamtes Erwerbsleben, 25 Jahre lang, arbeitete er im Krankenhaus Eilbek. Nach mehreren Bypassoperationen musste er vor einigen Jahren erwerbsunfähig in Rente gehen. Im August 2002 wollte er sich endlich einbürgern lassen, um durch den dunkelroten Bundes-Pass mit seiner Familie endlich unbeschwert herumreisen zu dürfen. Doch der Palästinenser darf nicht Deutscher werden, die Ausländerbehörde in Hamburg verwehrt dem Frührentner die Einbürgerung.

„Zwei meiner Kinder sind schon Deutsche, meine Frau kriegt bald einen Pass und ich nicht“, sagt er. Sein Vergehen? „Sie sagen, ich war im Vorstand der Mohadscherin-Moschee.“ Alle anderen Vorstandsmitglieder, so ereifert sich der ältere Mann, seien mittlerweile „Deutsche, warum ich nicht“?

Azzam I. ist zu spät gekommen. Infolge der Terror-Anschläge im September 2001 in New York werden alle Ausländer, die eingebürgert werden wollen, vom Verfassungsschutz überprüft, im vorigen Jahr waren dies allein in Hamburg über 5.000. Bis Ende November hatte die Behörde nach eigener Auskunft in 47 Fällen die Einbürgerung versagt. Die Gründe sind vielfältig, doch „sicher sind auch Menschen dabei, die wir nicht einbürgern, weil wir sie für islamistisch halten“, bestätigt Norbert Smekal, Sprecher der Ausländerbehörde. Dabei vollzieht sein Amt nur nach, was der Verfassungsschutz vorgibt: „Wenn wir Anhaltspunkte dafür haben, dass sich jemand in einem Milieu bewegt, dass wir für extremistisch oder islamistisch halten, teilen wir dies der Ausländerbehörde mit“, bestätigt Manfred Murck, stellvertretender Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die Ausländerbehörde sieht im Verfassungsschutz, so Smekal, „den größeren Sachverstand“ und agiert wie empfohlen.

Wie im Falle Azzam I. Ihm wird nicht nur vorgehalten, Mitglied im Vorstand des arabischen Gotteshaus in der Nähe des Hauptbahnhofs gewesen zu sein, das vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Zudem sei er Mitglied des „Islamischen Bundes“ gewesen und regelmäßig zu Treffen der „Islamischen Avantgarden“ ins „Islamische Zentrum nach Aachen“ gefahren. „Das ist nicht überzeugend“, sagt sein Anwalt Norbert Müller. Der Islamische Bund stehe nicht einmal im Verfassungsschutzbericht, und das „Islamische Zentrum Aachen“ habe „viel dafür getan, die Islam-Charta zu verabschieden, die den Islam in Deutschland auf eine demokratische Basis stellt.“

Azzam I. ist nur ein Fall unter vielen. Allein die Frankfurter Anwaltskanzlei Marx und Partner vertritt mehr als 20 Mandanten aus der gesamten Bundesrepublik, die keinen deutschen Pass bekommen sollen, weil sie im Vereinsvorstand einer Moschee sind, die der türkisch-sunnitischen Vereinigung „Milli Görüs“ zugerechnet wird.

An der in Deutschland zweitgrößten muslimischen Organisation „Milli-Görüs“, der 28.000 Mitglieder und etwa 500 Moscheen zugezählt werden, scheiden sich die Geister. Islamwissenschaftler wie Werner Schiffauer von der Viadrina in Frankfurt (Oder), einer der besten Kenner von „Milli Görüs“, sieht in der Organisation mittlerweile einen Generationenwechsel und führende Köpfe „auf dem Weg nach Europa“. Der Verfassungsschutz argumentiert demgegenüber, „Milli Görüs“ würde heimlich weiterhin eine islamistische Parallelgesellschaft anstreben.

So ist auch in Hamburg mindestens einem Muslim die Einbürgerung mit der Begründung verweigert worden, er sei im Vorstand einer „Milli Görüs“-Moschee aktiv. Das Verwaltungsgericht gab dem Mann allerdings in erster Instanz Recht: Allein die Mitgliedschaft bei „Milli Görüs“ reiche nicht aus, um ihm die Einbürgerung zu versagen. Gegen dieses Urteil hat die Ausländerbehörde Berufung eingelegt.

Auch im Fall Azzam I. müssen nun die Gerichte urteilen. Seine Klage gegen den Ablehnungsbescheid der Ausländerbehörde wies das Verwaltungsgericht im Juni 2004 in erster Instanz ab. „Die haben lediglich die völlig überholte Einschätzung des Verfassungsschutzes übernommen und keinerlei aktuelle Belege für die Verfassungsfeindlichkeit meines Mandanten beigebracht“, kritisiert Anwalt Müller. Gegen die Ablehnung der Einbürgerung hat er nun Berufung eingelegt. „Wenn den einzelnen Menschen nicht ganz konkrete Handlungen nachgewiesen werden, die einer Einbürgerung im Wege stehen, dann werden diese Urteil keinen Bestand haben.“

Allein die Mitgliedschaft in einem Moscheevorstand oder einer nicht verbotenen islamischen Organisation werde nicht ausreichen. Nach Ansicht von Azzam I. hat das ausgrenzende Vorgehen der Sicherheitsbehörden allerdings jetzt schon negative Folgen: „Die jungen Leute wollen in der Moschee nicht mehr aktiv werden, weil sie Angst haben, dann gleich als Terroristen angesehen zu werden.“