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Zimmer 101 etc.Iranische Schriftsteller unter Druck

■ Die Unterzeichner eines offenen Briefes gegen Zensur werden gedrängt, ihre Signaturen zurückzuziehen und ihren Schritt öffentlich zu bereuen

Iranische Schriftsteller, die im Oktober letzten Jahres einen offenen Brief gegen die Zensur im Iran veröffentlicht haben, werden von der Regierung in Teheran unter Druck gesetzt, ihre Unterschrift öffentlich zu bereuen und damit zurückzuziehen. Entsprechende Briefe oder Interviews von einigen der 134 Schriftsteller werden derzeit in der iranischen Presse veröffentlicht.

So erklärte der 82jährige Schriftsteller und Übersetzer Mohammed Ghazi in einem Interview, er habe nicht gewußt, daß das Manifest politische Motive verfolge. Auf eine Frage, ob es Zensur sei, gegen ein Buch vorzugehen, das sich gegen Moral, Religion und die nationale Sicherheit richtet, entgegnete Ghazi: „Ja, aber diese Zensur basiert auf Logik. Man kann sagen, daß diese Zensur vernünftig ist.“

Mihan Bahrami schreibt in einem Brief an die Zeitung Etelaat, sie hätte nie gedacht, „daß die schändliche öffentliche Meinung im Ausland, die unserer Angelegenheit geschadet hat, aus den einfachen, klaren Worten eine veränderte, skandalöse Deutung herauszieht (...). Auf diesen Gedanken wäre ich nicht gekommen, und ich glaube, daß diese entstellenden Maßnahmen der ausländischen Presse nicht nur von mir, sondern von jedem, der klar und gesund denken kann, als verabscheuungswürdig betrachtet werden.“

Zu denjenigen, die bislang ihre Unterschrift zurückgezogen haben, zählen Zaryab Khoi, Amir Hossein Aryanpour, Schams Langaroudi, Sirus Niru, Huschang Hesami, Schahla Lahidji, Reza Joulai, Elham Mavizani und Mohammed Ali Sepanlu. Für den unvoreingenommenen Leser mag es erstaunlich sein, daß diese bekannten Übersetzer, Wissenschaftler und Literaten, die alle zwischen fünfzig und neunzig Jahre alt sind, nicht wußten, was sie taten, als sie das Manifest unterschrieben und von Kollegen dazu verführt wurden. Doch das Regime im Iran hat vielfältige Möglichkeiten, Menschen unter Druck zu setzen.

In Teheran hört man, daß Universitätsdozenten, die das Manifest unterschrieben haben, entlassen worden sind; man hört, daß einzelne Unterzeichner zum Ministerium für Kultur und Islamische Führung bestellt worden sind, wo ihnen nahegelegt wurde, ihre Unterschrift zurückzuziehen, falls sie wieder etwas veröffentlichen wollen. Einige wurden mehrfach verhört. Der Druck, der auf einzelne ausgeübt wird, ist verschieden. Der eine hat einen Sohn im Ausland, der dort studiert. Die Devisen, die dieser zum Zwecke des Studiums zu einem günstigen Kurs erhält, sollen gestrichen werden... Andere Beteiligte erfahren wiederum, daß ihr Arbeitsplatz mittlerweile unsicher geworden ist etc., etc.

Hinzu kommt, daß viele Schriftsteller das Beispiel ihres Kollegen Said Sirjani vor Augen haben, der am 27. November 1994 nach zehn Monaten Haft, innerer Umkehr und Reuebezeugungen an Herzversagen im Gefängnis gestorben ist.

Der iranische Dichter Esmaeel Khooee, der im Ausland lebt, sagte in diesem Zusammenhang in einem Interview mit Voice of America, er fürchte sich nicht vor Tod und Folter, aber vor dem Zimmer Nummer 101 im Roman „1984“ von George Orwell. In diesem Raum wird der Gefangene mit subtilen psychologischen Methoden sich selbst entfremdet.

Was immer die eigentliche Ursache des Todes von Said Sijrani gewesen sei, so Khooee, er sei in jedem Fall am Kummer über seine eigene Entfremdung gestorben, als er gemerkt habe, was aus ihm gemacht worden ist. Marc Osman, Nikosia

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