■ Die Slovakei und Tisos Spuren: Zieht die Stiefel richtig herum an!
Es war noch zu Zeiten des kommunistischen Regimes, als mir ein angetrunkener Kollege auf einem Betriebsfest erklärte: „Du mußt doch zugeben, daß der slovakische Staat, wenn man mal vom jüdischen Problem absieht, ein wunderbarer Staat war.“ Auf meine Erwiderung, daß man ja kaum von 70.000 Toten und den schlimmsten Rassengesetzen in Europa abstrahieren könne, sagte er, selbstverständlich nicht, aber trotzdem ... In dieser kurzen Äußerung habe ich damals schon ein Signal des Zukünftigen entdeckt: Jene Unfähigkeit, zwischen Gut und Böse zu unterscheiden, hat zu der problematischen Integration des slovakischen Staats der 40er Jahre in die neue Geschichte geführt. Wenn man unseren neuen Staat auf ein solides Fundament stellen will, kommt man unweigerlich in ein Dilemma: Soll man ihn als Erfüllung eines tausendjährigen Unabhängigkeitskampfes hinstellen, was einer Geschichtsfälschung gleichkäme, oder soll man auf die Tiso-Ära Bezug nehmen? Die „Pfaffenrepublik“, wie sie ein Schriftsteller einmal nannte, ist immerhin die einzige Zeit, in der die Slovaken ihren eigenen Staat hatten.
Das Problem der slovakischen Staatlichkeit liegt in der Unfähigkeit, positiv nach vorne zu sehen. Der Staat muß auf einer Vision errichtet werden. Ohne eine solche Vision wird die Slovakei zwischen ihren Nachbarn hin- und hergerissen werden, anecken oder zurückblicken. Wie in jener Räubergeschichte, als die Jungen ihre Stiefel umgekehrt anzogen, um ihre Verfolger irrezuführen. Am Ende wurden sie trotzdem eingeholt. Nach wie vor ist sich die Öffentlichkeit über ihre eigene Geschichte im unklaren. Die Rolle Tisos ist unklar, man glaubt, er habe das Leben Tausender Juden gerettet, und die sollten ihm dafür dankbar sein. Man muß allerdings sagen, daß die Meinungsfreiheit, neuere historische Forschungen und Debatten die Ansicht über den Tiso-Staat verändert haben. Dadurch sind die fanatischen Befürworter dieses Staates gezwungen, ihre Ansichten in marginalen, nationalistischen Broschüren zu drucken. Die slovakische Regierung äußert sich nur sehr ausweichend über einige Mitglieder, die die „Pfaffenrepublik“ bewundern. Die wirtschaftliche Lage, Probleme mit den Minderheiten, werden die Vergangenheit wahrscheinlich in den Hintergrund drängen. Dennoch: Man sollte nicht vergessen, wovor man sich hüten muß. Damit wir mit unseren umgekehrt angezogenen Stiefeln nicht auf den Gräbern der Toten herumtrampeln. Zuzana Szatmary
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