: Zeugnis der eigenen Ohnmacht
Das Ende für den militärischen Flügel der baskischen ETA scheint nahe, weil die Bevölkerung den bewaffneten Kampf nicht länger unterstützt ■ Aus Madrid Alexander Gschwind
Daß spanische Politiker und Medien der baskischen Unabhängigkeitsbewegung ETA alle paar Monate das nahe Ende voraussagen, beraubt solche Unkenrufe längst jeder Glaubwürdigkeit. Schon als der „politische“ Flügel (ETA politico militar) Anfang der achtziger Jahre nach Verabschiedung des Autonomiestatuts die Waffen niederlegte, waren solch kühne Prophezeiungen im Umlauf. Unter der sozialdemokratischen Regierung von Felipe González gab es seit 1982 etliche Anläufe zu einer Verhandlungslösung. Gleichzeitig verhinderten deren sturer Zentralismus und skrupellose „Terrorbekämpfung“ jedoch jegliche Verständigung.
Ihren traurigen Höhepunkt erreichte die widersprüchliche Politik der sozialistischen Zentralisierung im Baskenland zwischen 1987 und 1989. Während in Algier Madrider Vertreter Gespräche mit exilierten ETA-Chefs führten, kamen Enthüllungsberichte über die Todesschwadron GAL und deren Killerkommissare Amedo und Dominguez in die Medien. Die beiden Rambos wurden später für zwei Dutzend Morde an baskischen Nationalisten zu drakonischen Strafen verurteilt, aber ihre Hintermänner im Innenministerium blieben bis heute ungeschoren. Der Sieg der harten Linie innerhalb der ETA-militar schlug sich bald in deren Taktik nieder. Durch den systematischen Einsatz von Autobomben mehrten sich die zivilen Opfer. Weil sich darunter viele Frauen und Kinder befanden, begannen im eigenen Sympathisantenkreis Zweifel und Abscheu zu wachsen. Zwischen ETA und der mit ihr verbündeten Koalition „Herri Batasuna“ entzündeten sich offene Konflikte, die sich bei den baskischen Regionalwahlen Ende 1991 wie bei der spanischen Parlamentswahl vom 6. Juni 1993 in empfindlichen Stimmen- und Mandatsverlusten von bis zu 25 Prozent niederschlugen.
Auch ETA-militar selbst hatte zunehmende Rückschläge zu verkraften. Ihr Plan, 1992 in ein Großkampfjahr gegen den spanischen Staat zu verwandeln mit Aktionen gegen die Weltausstellung in Sevilla und die Olympischen Sommerspiele in Barcelona, wurde durch die Verhaftung fast der gesamten Exilführung im südfranzösischen Bidart vereitelt. Kurz darauf flog auch der Finanzierungsapparat der Organisation auf, wurde eine Reihe wichtiger Kommandos samt Geheimwohnungen, Waffenlagern und sonstiger Logistik ausgehoben. Diese Mißerfolge schlugen auf die Moral der mehr als 600 inhaftierten Etarras, die sich immer häufiger mit öffentlicher Kritik bemerkbar machten und Amnestieangebote ohne Rücksprache anzunehmen begannen. Die Organisation machte dafür ihre Anwälte verantwortlich und entzog ihnen das Vertrauen.
Wie weit sich ETA-militar durch solche Irrtümer und Niederlagen bereits ins Abseits manövriert hatte, zeigte sich nach der Entführung Julio Iglesias Zamora Anfang Juli. Erstmals stellte sich einer solchen Schutzgelderpressung („Revolutionssteuer“) im Baskenland selbst eine breite Bürgerbewegung entgegen. Mehrere Großdemonstrationen mit jeweils Zehntausenden von Teilnehmern wurden zwar von Herri Batasuna sofort mit eigenen Massenaufmärschen beantwortet. Aber dadurch konnte der Verlust an Initiative und die immer breitere Solidarisierung mit dem Entführten nicht mehr verhindert werden. Unter dem Kennzeichen einer blauen Schleife am Rockaufschlag nahm die Kampagne für die Freilassung Iglesias Zamoras landesweite Ausmaße an. ETA wurde mitten in der Krise zum Sündenbock für die Zerstörung zusätzlicher Arbeitsplätze und hatte darauf keine glaubhafte Antwort. Selbst als Ende September zwei ETA-Sympathisanten unter merkwürdigen Umständen in der Untersuchungshaft starben, blieb Herri Batasuna mit ihren Folteranklagen zum ersten Mal völlig allein. Zwar verlangten auch die anderen Parteien des Baskenlandes eine schonungslose Aufklärung, gaben sich jedoch mit den parlamentarischen Erklärungen des umstrittenen Innenministers Corcuera weitgehend zufrieden. Danach waren beide Todesfälle natürlichen Ursachen zuzuschreiben und höchstens durch „Ungeschicklichkeiten“ der beteiligten Beamten ins Zwielicht geraten.
Daß sich ETA-militar Mitte Oktober mit der Ermordung des Direktors des Luftwaffenspitals in Madrid rächte, zeugte schon eher von Ohnmacht. Das dreiköpfige Kommando überfiel den 63jährigen Sanitätsgeneral im morgendlichen Stoßverkehr mit einer wilden Ballerei und sprengte seinen Fluchtwagen anschließend auf einer vielbegangenen Kreuzung in die Luft, wobei nur ein glücklicher Zufall ein riesiges Blutbad unter Unbeteiligten verhinderte. Weder Opfer noch Vorgehen entsprachen noch, wie so oft in jüngster Zeit, den Zielen eines glaubwürdigen Befreiungskampfes. Mit Kinds- und Greisenmördern mögen sich auch im Baskenland immer weniger Leute identifizieren. Wohl nicht ganz zufällig kommt der spärliche ETA-Nachwuchs fast nur noch aus halbstarken Abenteurerkreisen und Randgruppen. Die um sich greifende Stümperei und die immer häufiger rein kriminellen Aktionen drohen Isolation und Zerfall der Organisation weiter zu beschleunigen. In den letzten Tagen vor Zamoras Befreiung wurde Ende Oktober bei Großaktionen im spanisch-französischen Grenzgebiet die eben erst wieder aufgebaute Schlepper- und Nachschuborganisation der ETA-militar zerschlagen, wobei der Guardia Civil 400 Kilogramm Sprengstoff, mehrere Autobomben, Minenwerfer und elektronisches Zündmaterial in großen Mengen in die Hände fielen.
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