■ Zeugen Jehovas keine Körperschaft des öffentlichen Rechts: Zuwenig staatsbürgerlicher Einsatz
Es ging nicht um Religionsfreiheit, es ging um Privilegien. Vor dem Bundesverwaltungsgericht wollten die Zeugen Jehovas das Land Berlin verpflichten, ihnen den Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts zu verleihen. Die Kernfrage war: Kann sich der Staat aussuchen, welche Gruppen er bevorzugt? Das Grundgesetz sagt nein. Alle Gemeinschaften, die auf Dauer angelegt sind und nicht gegen die Gesetze verstoßen, sollen die Vorrechte erhalten können. Das meinten auch die Zeugen Jehovas. Und das entschieden die Berliner Verwaltungsgerichte.
Die Bundesrichter sind anderer Ansicht. Die Erfüllung der gesetzlichen Kriterien sei zwar notwendig, aber noch lange nicht ausreichend. Wer sich vom Staat (steuerlich) privilegieren lassen will, der muß auch aktiv am demokratischen Leben teilnehmen, befanden sie. Für diese Entscheidung haben die Richter etwas getan, was man sich nur als oberstes Bundesgericht traut: Sie haben die Bestimmungen des Staatskirchenrechts über die Verfassung hinaus erweitert und selbst Recht gesetzt. Als Neuerung haben sie eine demokratische Komponente in das Staatskirchenrecht eingefügt, die es bisher nicht gab. Denn bisher werden die Religionsgemeinschaften entweder nach den Regeln der Tradition oder nach dem Gebot der strikten Neutralität des Staates beurteilt. Damit ist es nach diesem Urteil vorbei. Und darin liegt das Grundsätzliche des Urteils: Andere Gruppen müssen sich in Zukunft am gleichen Maßstab messen lassen.
Die Zeugen Jehovas wollen in christlich-fundamentalistischer Tradition mit dem Staat nichts zu schaffen haben. Deshalb wurden sie von den Nazis verfolgt, viele wurden im KZ ermordet. In der DDR wurden sie verboten. Die Zeugen haben all dies ertragen. Denn eine Obrigkeit zu stürzen – und sei sie noch so verbrecherisch – käme ihnen nicht in den Sinn.
„Wir sind doch gute Staatsbürger“, reklamierten die Kläger, Vorbilder für die Welt: Sauber, ehrlich, fleißig. Doch Steuern zahlen, der Obrigkeit gehorchen und sich ansonsten nur auf das Jenseits zu konzentrieren, läuft dem demokratischen Anspruch auf Teilhabe und Mitgestaltung jedes einzelnen zuwider. Die Zeugen Jehovas sind deshalb in den Augen des Gerichts eben keine musterhaften Staatsbürger, sondern religiöse Aussteiger. Für die gilt der volle Schutz der Gemeinschaft. Aber Unterstützung für ihre Weltflucht bekommen sie vom Staat nicht. Bernhard Pötter
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