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Zensur in der EUMehr Internet, weniger Information

Wie die Europäische Union mithilfe des Netzes Journalisten kaltstellt und Nachrichten unterdrückt. Das Ergebnis: Immer mehr Korrespondenten verlassen Brüssel.

Dirigiert gerne die Informationen: EU-Präsident Manuel Barroso Bild: rtr

BRÜSSEL taz | Das Ritual ist jeden Wochentag das gleiche: Kurz nach zwölf machen sich die in Brüssel akkreditierten Journalisten auf den Weg zum denkmalgeschützten Gebäude der EU-Kommission. Im Untergeschoss stellen sie sich brav in zwei Reihen auf und schieben sich an den weißen Resopaltischen vorbei, auf denen die Presseerklärungen des Tages ausgelegt sind. Die Wartezeit wird zu einem kleinen Schwätzchen genutzt. Für viele Kollegen, die den ganzen Tag allein in ihren Büros sitzen, ist das Pressebriefing der EU-Kommission das soziale Highlight des Tages.

Etwas mehr als tausend Autoren, Fotografen und Kameraleute aus den 27 Mitgliedsländern der EU und dem Rest der Welt haben für das Jahr 2010 einen Eintrittsausweis für die Gebäude von Kommission, Rat und Parlament beantragt. Das sind 300 weniger als letztes Jahr. Und jeder Fünfte hat das gelbe Plastikkärtchen mit dem großen roten P für Presse bis heute nicht abgeholt. Das bedeutet innerhalb eines Jahres einen Schwund von fast vierzig Prozent.

Die niederländische Volkskrant und der Telegraaf haben ihre Büros von zwei Kollegen auf je einen halbiert. Die Europaberichterstattung für das gesamte Baltikum teilen sich drei Journalisten. Die meisten italienischen und französischen Zeitungen leisten sich ebenfalls nur noch einen Korrespondenten in der europäischen Hauptstadt. Nur einige deutsche Medien widerstehen bislang dem Trend. Zwar reduzierte die Süddeutsche von drei auf zwei, die FAZ von fünf auf vier Journalisten. Welt, FTD und Handelsblatt verkleinerten ihre Brüssel-Büros aber bislang nicht.

Mitte März schlug der Verein der Auslandspresse API Alarm und trommelte seine Mitglieder zu einer außerordentlichen Vollversammlung zusammen. Wie kann es sein, so fragen die Standesvertreter, dass EU-Entscheidungen für die Mitgliedsländer immer wichtiger werden, dass Verbände, Bundesländer und politische Organisationen ihre Brüssel-Vertretungen massiv ausbauen, die journalistische Präsenz aber zurückgeht?

Einen Hauptgrund sieht API darin, dass die Brüsseler Institutionen klassische Pressearbeit zunehmend durch Internetauftritte ersetzen. "Vor allem die EU-Kommission gibt zu wenig Hintergrundinformationen über den Entscheidungsprozess. Im Dienst vorgeblich größerer Transparenz werden immer mehr Inhalte über das Internet zugänglich gemacht und mehr PR-Veranstaltungen in den Mitgliedstaaten durchgeführt. Mehr Kommunikation bedeutet aber nicht immer mehr Information und könnte als Propaganda ausgelegt werden", heißt es in einer bei der Vollversammlung einstimmig verabschiedeten Resolution.

Kommissionspräsident Manuel Barroso hat seiner Presseabteilung eingeschärft, dass ihre Arbeit vor allem einem Ziel zu dienen hat: ihn und seine Mannschaft gut aussehen zu lassen. Das Budget für Pressearbeit wurde in den fünf Jahren seiner Amtszeit von 165 auf 210 Millionen Euro erhöht, der Sprecherdienst von knapp 25 auf über 100 Mitarbeiter ausgeweitet. Doch wenn man vormittags zum Hörer greift, antwortet meist eine Stimme vom Band, E-Mails bleiben ebenfalls unbeantwortet. Denn die Sprecher sind mit Wichtigerem beschäftigt. Sie suchen die Medien der Mitgliedsländer nach Themen ab, die im Mittagsbriefing zu unangenehmen Fragen führen könnten.

Die Schuldenkrise in Griechenland? Die Diskriminierung Französisch sprechender Bürger in den flämischen Randgemeinden von Brüssel? Kaum eine Frage, auf die der zuständige Sprecher nicht einen Zettel aus seiner Mappe ziehen kann, auf dem in diplomatisch ausgefeilten Worten die Position der EU-Kommission festgehalten ist. Man merkt den Antworten an, dass sie sorgfältig unter den Fachabteilungen abgestimmt sind und weder beim EU-Parlament noch bei den Mitgliedstaaten Ärger provozieren sollen. Stoff für interessante EU-Geschichten ergibt sich daraus ganz sicher nicht. Auch Barrosos Vorgänger ließen sich nicht gern in die Karten schauen.

Kommunikation ist keine einfache Sache für ein Gremium, das halb Regierung und halb Behörde ist, dessen Mitglieder einerseits von den Mitgliedstaaten ins Amt gehoben werden, andererseits eben diese Mitgliedsstaaten kontrollieren sollen. Kartellentscheidungen und Defizitverfahren können eine Aktie in den Keller torpedieren und Zinsen in die Höhe schießen lassen - da muss jede Information gut abgewogen werden.

Doch in der Vergangenheit standen den Journalisten viele informelle Kanäle offen, um ihre Geschichten mit Stoff zu füttern, der über abgewogenen Presseerklärungen hinausgeht. Mittlerweile ist es Kommissionsbeamten streng untersagt, Informationen an Journalisten weiterzugeben. Mehrere Reporter, die dennoch ihr Glück mit einem direkten Anruf versuchten, erhielten hinterher böse E-Mails aus der Presseabteilung der Kommission. Wenn sie Fragen hätten, sollten sie sich bitte an den Dienstweg halten.

Doch der Kontrollzwang beschränkt sich nicht auf heikle Inhalte. Er erstreckt sich auf das gesamte Erscheinungsbild der europäischen Institutionen. Barroso will stets Bella Figura machen - in Wort und Bild. Es häufen sich Klagen von freien Fotografen und unabhängigen Kamerateams, dass sie zu Veranstaltungen nicht mehr zugelassen werden. Stattdessen stellen Rat, Parlament und Kommission immer mehr eigene Fotos und Videoclips ins Netz - zur kostenfreien Nutzung, versteht sich. Fotos gähnender oder wütender Politiker wird man dort ebenso wenig finden wie Ereignisse außerhalb des vorgesehenen Protokolls. Als sich beim EU-Gipfel im vergangenen Dezember Greenpeace-Aktivisten unter die vorfahrenden Regierungschefs schmuggelten und Transparente zum Klimaschutz entrollten, waren diese Bilder auf der offiziellen Webseite des Rates natürlich nicht zu sehen.

Das alles führt nicht dazu, dass die EU in den Medien besser dasteht, sondern dass sie immer weniger vorkommt. Denn für Werbevideos und politisch ausgewogene Statements interessiert sich das Publikum nicht. Und so greift die EU-Kommission noch einmal tief in die Tasche des Steuerzahlers, um den Grund für diese EU-Unlust zu finden. Junge Kommunikationswissenschaftler werden in regelmäßigen Abständen durch die Brüsseler Schreibstuben geschickt, um die immergleiche Frage zu stellen: Warum nutzen sie die offiziellen Quellen so wenig? Warum hat die EU ein so schlechtes Image in den Medien?

Viele dieser Forschungsprojekte sind interdisziplinär und grenzüberschreitend. Die Unis engagieren sich gern für diese Themen - nicht aus ehrlichem Interesse, sondern weil dafür Brüsseler Fördergelder leicht zu bekommen sind. So ganz allmählich scheint aber auch die EU-Kommission zu begreifen, dass ihre Kommunikationsstrategie in die Sackgasse führt. Sie will sich nun mit der Journalistenorganisation API zusammensetzen und überlegen, wie der Standort Brüssel für die Medien wieder attraktiver werden kann. Die Antwort ist ganz einfach und lautet: Information statt Propaganda.

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