: Zeitzeuge Erich Kästner
■ Die Zerstörer des Kurfürstendamms
»In jener Nacht fuhr ich, im Taxi auf dem Heimweg, den Tauentzien und den Kurfürstendamm entlang. Auf beiden Straßenseiten standen Männer und schlugen mit Eisenstangen Schaufenster ein. Überall krachte und splitterte Glas. Es waren SS-Leute in schwarzen Breeches und hohen Stiefeln, aber in Ziviljacken und mit Hüten. Sie gingen gelassen und systematisch zu Werke. Jedem schienen vier, fünf Häuserfronten zugeteilt. Sie hoben die Stangen, schlugen mehrmals zu und rückten dann zum nächsten Schaufenster vor. Passanten waren nicht zu sehen...
Dreimal ließ ich das Taxi halten. Dreimal wollte ich aussteigen. Dreimal trat ein Kriminalbeamter hinter einem der Bäume hervor und forderte mich energisch auf, im Auto zu bleiben und weiterzufahren. Dreimal erklärte ich, daß ich doch wohl aussteigen könne, wann ich wolle, und das erst recht, wenn sich in aller Öffentlichkeit, gelinde gesagt, Ungebührliches ereigne. Dreimal hieß es barsch: ‘Kriminalpolizei‚. Dreimal wurde die Wagentür zugeschlagen. Dreimal fuhren wir weiter. Als ich zum viertenmal halten wollte, weigerte sich der Chauffeur. ‘Es hat keinen Zweck‚, sagte er, ‘und außerdem ist es Widerstand gegen die Staatsgewalt...‚
Jetzt war es soweit. Die Partei begann, wenn auch bei Nacht und in Räuberzivil, auf offener Straße Handlungen, die früher als Verbrechen verfolgt worden wären, und die deutsche Polizei schirmte die Verbrecher ab. In der gleichen Nacht wurden von den gleichen Verbrechern, von der gleichen Polizei beschützt, die Synagogen in Brand gesteckt. Und am nächsten Morgen meldete die gesamte deutsche Presse, die Bevölkerung sei es gewesen, die ihrem Unmut spontan Luft gemacht hätte.«
aus: Erich Kästner, »Gesammelte Schriften«, Bd. 4, Kiepenheuer- Verlag 1987
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