: Zeittypische Pappkameraden
Als ewige Schau begriff Otto Dix sein Leben und Arbeiten. Vor ihm waren sie alle gleich: Die wilhelminischen Beamten malte und zeichnete er ebenso wie die Elenden, Bohemiens und Prostituierten. In Hamburg werden jetzt 100 seiner häufig unterschätzten Aquarelle und Gouachen gezeigt
VON PETRA SCHELLEN
Nein, politisch war er nicht. Er freute sich schlicht über Krach und Farben, liebte das pralle Leben in all seinen Ausdrucksformen – ob es elend war oder fröhlich: Motive aus Krieg und Frieden, aus Elend und Bohème-Milieu hat sich Otto Dix zu eigen gemacht. Mehr noch: Als Bürgerschreck inszenierte und profilierte sich der 1891 geborene Maler und Zeichner, und er ist damit gut gefahren: Rasant verkauften sich seine Aquarelle in den Zwanziger Jahren, wobei er zur Zeit der Weltwirtschaftskrise bewusst auf dieses leichter absetzbare Format setzte. Diesen Aquarellen und Gouachen, von denen zwischen 1922 und 1924 rund 400 entstanden, widmet sich die Ausstellung im Hamburger Bucerius Kunst Forum, die erste große Dix-Schau in Deutschland seit 30 Jahren.
Mit seinen Ölbildern können die gezeigten Blätter ohne Weiteres konkurrieren – nicht nur technisch. Auch thematisch gibt es alles von Dix zu Erwartende: Straßen-, Bordell- und Zirkus-Szenen. Aber hier lassen sich nicht nur die Bohemiens der Zwanziger Jahre finden, und nicht nur die Kriegskrüppel und -witwen, die oft aus Not Prostituierte wurden. Zusammengetragen wurden auch zahlreiche Porträts – wobei diese Gattungsbezeichnung für Dix im Grunde nicht passt.
Denn sie sind zwar als Individuen identifizierbar, die Puffmutter, der Zuhälter, seine Frau oder das Kind. Doch die hier Porträtierten wirken erstarrt. Schreckgeweitete Augen, ein martialisch-karikatureskes Grinsen, ein verlorener Blick sind das Äußerste an Ausdruck. Im Übrigen delektierte sich Dix an Hüten, Schleiern, Farben, Stoffen. Staffage-Figuren hat er zum Panorama seiner Zeit – nein, nicht verwoben, sondern in gestellten Szenen nebeneinander gesetzt. Austauschbare Typen sind sie, beinahe: zeittypische Pappkameraden.
Genau das wollte Dix, der selbst ja formuliert hatte, dass man das Leben nackt betrachten müsse. Malen, was man sehe. Und dass sich die Kunst nach dem Grauen des Weltkriegs nicht mehr zum Ausdruck individueller Befindlichkeit nutzen lasse. Festzuhalten sei das Großstadtleben in all seinen Facetten. Ein Credo, mit dem sich Dix von der Subjektivität des Expressionismus abwandte: Die Neue Sachlichkeit hatte begonnen, eine Phase des erbarmungslosen Dokumentierens, des quasi-naturwissenschaftlichen Draufblickens.
Das hat Dix getan: ohne Gnade auf das Äußere geschaut und einer Geste oder Kleiderfalte mehr Bedeutung beigemessen als einem Gesicht. Dabei hat er unterschiedslos gemalt, wilhelminische Beamte und Militärs ebenso auf Papier gebannt wie die Elenden. Den Selbstmörder zeichnete er so krass wie das im Quasi-Totentanz verschlungene Liebespaar und den gediegenen „Dr. F.“, ein leicht deformiertes Kind mit derselben Finesse wie den Kriegsversehrten, der nun in Hamburg direkt daneben aufgehängt wurde.
So treffend er sie auch festgehalten hat: Die Verwundeten des Ersten Weltkriegs waren für Dix auch genüsslich ausgeschlachtete Motive. Und diesen Krieg, in den er selbst freiwillig gezogen war, hat Dix stets als Mixtur aus Grauen und Faszinosum beschrieben. Der Mensch könne nur anhand der dortigen Exzesse beurteilt werden, hat er später gesagt. Vielleicht hat er sich auch ein bisschen daran geweidet: Dix blieb im Schützengraben gnädig unversehrt und war vielleicht auch deshalb fähig, das Martialische mit Distanz zu betrachten und die „Badenden Soldaten“ im harmlosen animistischen Stil Marc’scher Tierbilder zu malen. Oder einen Sprengtrichter so darzustellen, als sei er wohl geratener Teil von Natur und Schöpfung.
Deutlich wird hier die Kluft zwischen Ethik und Ästhetik, zeigt sich jene Ambivalenz, die alles in der Hamburger Ausstellung Gezeigte durchzieht. Und die zu dem passt, was Otto Dix selbst immer wieder gesagt hat: Er wolle in keine Partei eintreten. Und hatte er sich auch 1920 an der antibürgerlichen „Ersten Internationalen Dada-Messe“ in Berlin beteiligt, wollte er doch keine programmatische Festlegung. Sondern die Figuren der gesellschaftlichen Peripherie nutzen, wie es ihm gefiel. Wenn andere darüber stritten – umso besser für Dix.
Wie ein lakonisches Stillleben wirken etwa die menschlichen Eingeweide, die nun in Hamburg direkt neben Dix’ frühen, altmeisterlichen Pflanzenstudien hängen. Und wie zwei überreife Birnen liegen die Brüste der Prostituierten „Sphinx“ im gleißenden Licht auf dem Laken; des Gesichts dazu hätte es gar nicht bedurft. Fehlen eigentlich nur noch die auf Stillleben des 17. Jahrhunderts üblichen Fliegen und Käfer als Insignien der Vergänglichkeit.
Mehr sagt Dix nicht: Appellativ-sozialkritisch ist keines seiner Bilder. Er beleuchtete und belächelte die Gesellschaft, kannte ihre Regeln aber genau: Er habe vor dem Verfall der Sitten warnen wollen, sagte er 1922 den Richtern, um sein wegen „Unzüchtigkeit“ beschlagnahmtes Bild „Mädchen am Spiegel“ wiederzubekommen. Es funktionierte – und so ist auch dieser Vorfall ein Teil der ewigen Schau, als die Dix sein Leben und Malen begriff.
Denn es lässt sich nicht anders sagen: Dix wollte inszenieren. Sich selbst, indem er sich in immer wieder anderen Posen porträtierte. Oder als kreischenden Lustmörder malte, der fröhlich mit weiblichen Leichenteilen jongliert. Und mit seiner Frau Martha Besucher gern durch freizügige Gemälde schockierte, die direkt über dem Esstisch hingen.
Inszenieren wollte er auch seine Malerei, die von den Renaissance-Pflanzen über barocke Rocaillen bis zu Jugendstil-Blüten reichte und in der er immer wieder Künstlerkollegen zitierte – mit dem Argument, die Kunst könne nichts Neues mehr erfinden. Und er karikierte seinen eigenen cartoonhaft-grotesken Stil, indem er sich auf den „Sonntagsbildern“ als echter Sonntagsmaler gerierte: Eckig-naiv-überladen wirken diese Bilder von Sonntagsspaziergängern und Ähnlichen; „nobler Dilettantismus“ im wahrsten Sinne.
Außer Form und Farbe also nichts gewesen? Farbe und Form sind – perfekt praktiziert – in der Tat wohl alles gewesen, auch wenn Dix seinen Nietzsche verinnerlicht hatte und sich selbst als Auge stilisierte, das den endlosen Reigen des Lebens betrachtet. Das ist ihm gelungen – auch in seinen Kinderbüchern, die vor Monstern und Totentänzern strotzen.
Auch darin geht es immer um Typen, austauschbare Kasperl-Figuren, Pappkameraden, vereint zu fröhlicher Kakophonie. Ein Spot auf eine Situation, so treffend wie plakativ. Wertungen wie bei George Grosz gibt es nicht. Kommunist war Dix nie, schuf keine Pamphlete. Er saß lieber lustvoll zwischen den Stühlen.
„Geisterbahn und Glanzrevue – Otto Dix. Aquarelle und Gouachen“, bis 9. 9. im Bucerius Kunst Forum, Hamburg