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Zeitgeschichte Knud von Harbou analysiert die ersten Jahre der „Süddeutschen Zeitung“. Das Ergebnis ist wenig schmeichelhaftDeutsche Kontinuitäten

von Klaus Hillenbrand

Eine Geschichte der Süddeutschen Zeitungin den Gründerjahren nennt Knud von Harbou sein Buch. Akribisch ist der Autor dem Personal des heute so lieberalen Blatts nachgegangen, hat tausende Texte untersucht und Zusammenhänge zum heutigen Stand der Politik- und Geschichtsforschung eingeholt. So erzählt Harbou nicht nur ein gewichtiges Stück deutsche Zeitungsgeschichte, sondern auch einen guten Teil der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Und da fällt das Urteil zwangsläufig nicht immer schmeichelhaft aus.

Denn Kontinuitäten der Eliten vom Nationalsozialismus hin zur Bonner Republik gab es eben nicht nur in der Politik, in der Justiz und in der Wirtschaft, sondern auch bei den Zeitungen. Die Süddeutsche war da keine Ausnahme. Gewiss, schon ab 1949 arbeitete der berühmte Ulrich Kemps­ki als Chefreporter für das Blatt, und auch Erich Kuby fand 1948 seinen Weg von dem US-Blatt Neue Zeitung zur Süddeutschen.

„Sie werden in Ihrer Zeitung auch nicht einen einzigen Nazi beschäftigen, auch nicht als freien Mitarbeiter, ganz egal, welche Entschuldigung der Einzelne für sich vorbringt“, hatte der gebürtige Fürther und später Amerikaner Joseph Dunner den Zeitungsgründern mit auf den Weg gegeben. Zu den Gründern der Süddeutschen Zeitung zählte Edmund Goldschlagg, ein ehemaliger Redakteur der so­zial­demokratischen Münchener Post, der, von seinem Posten entfernt, in den Terrorjahren eine Jüdin versteckte. Anderseits fand dort aber auch ein Franz Josef Schöningh seinen neuen Job. Trotz der Kontrollen durch die amerikanischen Lizenzgeber in der US-Zone Bayern gelang es ihm scheinbar mühelos, Mitherausgeber zu werden.

Die Erkundigungen über das Personal müssen recht oberflächlich ausgefallen sein. Denn Schöningh hatte ab Februar 1942 als stellvertretender Kreishauptmann in sogenannten Generalgouvernement, im besetzten, aber nicht annektierten Teil Polens, im Dienste der Nazis gestanden. Und ein solcher war auch für die euphemistisch „Umsiedlung“ genannte Deportation und Ermordung der Juden qua Amt zuständig. Gleichwohl gelang Schöningh nicht nur, 1945 bei der SZ einzusteigen, sondern zwei Jahre später erklärte ihn eine Spruchkammer bezüglich NS-Verbrechen auch noch als „nicht betroffen“.

Es sind geradezu typische Karrieren, die hier sichtbar werden

Schöningh ist nur ein Beispiel unter vielen. Redakteur W. E. Süskind hatte ab 1943 bei der Krakauer Zeitung und den Krakauer Monatsheften gearbeitet. Hans Schuster, bei der SZ-Innenpolitik tätig, trat 1939 als Verfasser einer antisemitischen Dissertation über „Die Judenfage in Rumänien“ in Erscheinung. Und Hermann Probst, späterer SZ-Chefredakteur, arbeitete im Krieg für die SS in Kroatien und hatte dabei das zweifelhafte Privileg, dem KZ Jasenovac einen Besuch abstatten zu dürfen.

Es sind geradezu typische Karrieren, die hier sichtbar werden. Waren diese ehemaligen Nazis nun geläutert oder nicht? Das lässt sich, liest man Harbous Buch, nicht sicher feststellen. Nun ist es kein Wunder, dass sich in den ersten Jahren der SZ dort keine offen NS-affinen Texte finden lassen – schließlich stand das Blatt immer noch unter der Kontrolle der amerikanischen Besatzer. Die Textbeispiele, die Harbou zu Hunderten analysiert, lassen einen ganz anderen Schluss zu. Die Gründer dieses großen Zeitungshauses waren vor allem eines: angepasst.

Denn nicht nur gegenüber der US-Politik in Bayern erhob sich keine Kritik, auch die ersten Jahre von Adenauers Bundesrepublik Deutschland wurden in München sehr wohlwollend betrachtet. Das Blatt fungierte in der Logik des Kalten Kriegs – mit Lob für die Segnungen des Westens und unverhülltem Ekel für die Schmach, die da stets aus dem Osten kam, und sei es die Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze durch die DDR im Jahr 1950, die die Süddeutsche unter dem Titel „SED gibt deutschen Osten preis“ vermeldete.

Mehr als nur zwiespältig fällt das Urteil darüber aus, wie sich die Zeitung mit der damals jüngsten Vergangenheit befasste. So druckte Schöningh 1945 ein Schreiben Thomas Manns, der 1933 ins Exil gehen musste und nun begründete, warum er nicht nach Deutschland zurückkehren wolle, unkommentiert und so verkürzt ab, dass der Leser mit diesem Text nichts anfangen konnte. Wilhelm Hausenstein warf Mann eine „arge Vereinfachung vor“, weil dieser erklärt hatte, zwischen 1933 und 1945 in Deutschland erschienene Bücher seien „weniger als wertlos“.

Berichte über NS-Strafverfahren fanden, abgesehen vom Hauptkriegsverbrecherprozess in München, nur in wenigen Zeilen Beachtung. Ob die Hitler-Attentäter des 20. Juli 1944 nicht doch Verräter gewesen waren, wurde diskutiert. Und Süskind dachte sich nichts dabei, einen offen antisemitischen Leserbrief zum Abdruck zu bringen – einzig Mitherausgeber Werner Friedmann bat danach angesichts wütender Proteste von Juden um Entschuldigung.

War die Süddeutsche Zeitung deshalb ein rechtes Blatt? Ganz sicher nicht. Das damals noch konservative Münchner Blatt schrieb lediglich auf, wie die meisten Westdeutschen dachten. Knud von Harbou ist es gelungen, Zeitgeschichte anhand dieser Zeitung lebendig werden zu lassen.

Knud von Harbou: „Als Deutschland seine Seele retten wollte. Die Süddeutsche Zeitung in den Gründerjahren nach 1945“. dtv, München 2015, 445 Seiten, 26,90 Euro

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