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Archiv-Artikel

Zeitgeist ohne Hemmung

Von der „Sündenvergebmaschine“ nach Hiroshima. Das Düsseldorfer Künstlerduo „half past selber schuld“ macht mit absurden Bühnencomics Furore. Die taz besuchte sie im Nuklearwaffenarsenal

VON LUTZ DEBUS

Der Proberaum der Düsseldorfer Theatergruppe „half past selber schuld“ gleicht einem gut bestückten Nuklearwaffenarsenal. Gut, dass die Atombomben alle aus Pappe sind. „Little Boy“ und „Fat Man“, die beiden Bomben, die die USA im August 1945 auf Hiroshima und Nagasaki warfen, sind sogar so konstruiert, dass man in sie hineinschlüpfen und mit ihnen tanzen kann. Frank Römmele mit dem Künstlernamen „Sir ladybug beetle“ stöbert in den Requisiten und findet ein Gerippe, auf dem man Cello spielen kann. Ein paar Meter weiter dreht Römmele gedankenverloren an einem Holzrädchen. Mit einer Vierteldrehung verändert er die Silhouette einer ganzen Stadt. Noch eben waren die filigranen Umrisse der traditionellen japanischen Häuser zu sehen, plötzlich sind nur noch Trümmer übrig. „Bei einer Aufführung, werden die beiden kunstvoll ausgeschnittenen Pappen, die das Schattenspiel erzeugen, im Augenblick des Lichtblitzes ausgetauscht“, erklärt er.

Angefangen hat alles mit „Die Sündenvergebmaschine“, einem Absurdical in sieben Phasen. Immer arbeiten „half past selber schuld“ mit animierten Bühnenbildern. Davor die Figuren, die von dahinter stehenden, in Schwarz gekleideten Puppenspielern bewegt werden. „So behält das Stück etwas von dem Manga“, sagt Römmele. Aber kann man, wie im jüngsten Stück, die Tragödie von Hiroshima als Comic oder als Puppenspiel erzählen? „Man muss“, meint der 38-jährige. Eine Abbildung Eins-zu-Eins sei nicht möglich und nicht zumutbar.

Dabei ist die Darstellung der Wanderung des 6-jährigen Jungen Gen Narkota (nach einem Comic von Keiji Nakazawa) durch die völlig zerstörte und verstrahlte japanische Stadt auch keine leichte Kost. Die Künstler bearbeiten ein kilotonnenschweres Thema auf der Bühne. „Es gibt keine Bildergeschichte, die mich emotional so mitgerissen hat“, erklärt der Comic-Freak Römmele. Selbst „Maus – Die Geschichte eines Überlebenden“ – das berühmte Comic von Art Spiegelman über den Holocaust – habe ihn nicht so berührt.

Ilanit Magarshak-Riegg ist die andere Hälfte des Theaterduos. Die 34-jährige Israelin spielt und spricht den kleinen Gen. Was brachte sie dazu, einen japanischen Jungen zu spielen, der durch Berge von Leichen und Sterbenden taumelt? Eine der Antworten findet sich in ihrer Biographie. Durch einen Bekannten sei sie erst 1992 nach Deutschland gekommen. Den ersten Irakkrieg erlebte sie also noch in der Heimat. „Wir standen in Tel Aviv auf einer Dachterrasse und beobachteten die Scud- und Patriot-Raketen am Himmel,“ erzählt sie. Bereits als Säugling habe sie während des Jom-Kippur-Krieges Nächte im Bunker verbracht. „Krieg ist ein Verbrechen“, sagt Magarshak-Riegg. Zur Armee musste sie wegen gesundheitlicher Gründe nicht. Heute, 15 Jahre später, spielt sie auch die böse Papp-Bombe „Little Boy“.

Bislang hat die Gruppe „Half past selber schuld“ seit ihrer Gründung 2001 fast nur apokalyptische Stücke auf die Bühne gebracht. Besonders beim Thema “Hiroshima“ irritiert der Name des Duos. Sind die Hunderttausenden von Toten zur Hälfte selbst schuld? Frank Römmele erzählt, dass er sich zu Beginn der Zusammenarbeit mit Ilanit mit einem Kauderwelsch aus Englisch und Deutsch verständigt habe. Der Satz „half past selber schuld“ wirkte besonders skurril und so entstand der Name. „Aber vielleicht ist die Schuldfrage sowieso nicht immer einfach zu beantworten,“ murmelt Römmele und kramt schon wieder in den Requisiten.