■ Zehn Jahre sozialistische Regierung in Spanien: Pragmatiker liebt man nicht
„Wir werden Spanien so verändern, daß seine eigene Mutter es nicht wiedererkennt“, hatten die Sozialisten angekündigt, als sie vor zehn Jahren die Regierung übernahmen. Und wahrhaft, das ist ihnen gelungen. Das Resultat dieser Veränderungen läßt freilich unterschiedliche Lesarten zu. Unbestreitbar ist, daß es den meisten Spaniern heute ökonomisch etwas besser geht als vor zehn Jahren, auch wenn die soziale Schere weit geöffnet ist. Und das Ausland war in diesen Jahren nicht nur staunender Zeuge des rapiden spanischen Wirtschaftswachstums, sondern auch der eleganten Integration des Jahrzehnte lang isolierten Randgebiets in Europa. Der junge charmante Regierungschef González wurde für ausländische Beobachter zum Symbol für eine rasche, demokratische Modernisierung. Wie häufig besteht jedoch eine deutliche Differenz zwischen dem Bild, das eine Regierung nach außen erzeugt, und dem heimischen.
Weitgehend unbemerkt blieb so im Ausland, daß das Wirtschaftswachstum sehr viel mehr mit Spekulation als mit einer tatsächlichen Stärkung der Wirtschaft zu tun hat. Übersehen wurde, daß der friedliche Übergang Pakte auch und gerade mit den Militärs mit sich brachte, die noch heute die Politik bestimmen – etwa in der Verfolgung von Deserteuren. Unbekannt ist jedoch vor allem, daß über Wirtschaftswachstum und EG die innere Demokratisierung nicht nur vernachlässigt, sondern bewußt verhindert wurde – noch heute wird mit der Drohung vor dem Chaos Politik gemacht. Vielleicht hätte man von den Sozialisten mehr nicht erwarten sollen. Nicht zufällig wurden mit ihnen junge Leute gewählt, die eben keine harten klassenkämpferischen Parolen skandierten und hoffen lassen konnten, daß die alte Wunde zwischen den Zwei Spanien endlich verheilen würde. Und doch sind die Jahre der PSOE-Regierung für viele der damaligen Wähler Jahre der Enttäuschung, der kurzen Wut, denen resigniertes Schweigen folgte. Denn wo sie radikalen Wechsel erwartet hatten, verfolgten die Sozialisten eine Politik des „Machbaren“. Wo viele sich – vielleicht übertriebene – Hoffnungen machten auf einen eigenen, anderen Weg Spaniens nach Franco, setzte Regierungschef González auf Anerkennung von außen und damit auf die Anwendung anerkannter sozialdemokratischer Rezepte. Noch fataler freilich als die pragmatisch genannte, zentristische Politik hat sich auf die Moral vieler Wähler die Art ausgewirkt, mit der die PSOE ihre Macht ausübt.
Mit dem Wissen um ihre Übermacht hat es die PSOE nicht für nötig befunden, Kritikern, Skeptikern oder Bewegungen zuzuhören. Wie eine Dampfwalze setzte sie ihre Konzepte um, und nur rabiate Gegenwehr, wie etwa der Generalstreik 1988, brachte die Walze kurz zum Halt. Daß von den zu Beginn der 80er Jahre florierenden sozialen Bewegungen nur noch Überreste zu finden sind, geht ebenfalls großteils auf das Konto der Sozialisten: Die nicht von ihnen aufgesogen wurden, lösten sich wegen Wirkungslosigkeit auf. Klientelwirtschaft und Bestechung, kombiniert mit einer zunehmenden politischen Kontrolle sämtlicher gesellschaftlicher Bereiche haben dazu geführt, daß sich der Aufschwung und Enthusiasmus von damals in intellektuelle Dürre und Starrheit verwandelt haben. Die Krake sitzt wohl noch eine Weile. Doch wo sie ihre Fangarme hinreckt, wächst nichts mehr. Antje Bauer, Madrid
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