Zehn Jahre in Haft: Ohne Öcalan läuft in der PKK nichts
Seit zehn Jahren sitzt der Chef der verbotenen kurdischen Arbeiterpartei auf der Gefängnisinsel Imrali in Isolationshaft. Den Einfluss auf seine Anhänger hat er aufrechterhalten können.
ISTANBUL taz Als Abdullah Öcalan kurz vor dem Ende seines Prozesses im Gerichtssaal ankündigte, er werde die Kämpfer seiner kurdischen Guerilla auffordern, die Waffen ruhen zu lassen, hoffte er darauf, der Nelson Mandela der Türkei zu werden. Vom "Terroristen" zum "Staatsmann", aus dem Knast heraus an den Verhandlungstisch mit der türkischen Regierung sollte der weitere Weg führen, und das in möglichst kurzer Zeit.
Doch schon das Ende des Prozesses war ein klares Zeichen dafür, dass die andere Seite für Öcalan keine politische Zukunft vorgesehen hatte. Er wurde zum Tode verurteilt und nur deshalb vor dem Strang gerettet, weil die Türkei, als eine Vorbedingung für die Aufnahme von Beitrittsverhandlungen mit der EU, die Todesstrafe abschaffte. Dafür schuf das Parlament extra eine Lex Öcalan, die besagt, dass Öcalan für alle Zeiten von möglichen Amnestien ausgeschlossen ist und bis ans Ende seines Lebens in Haft bleiben muss.
Seit zehn Jahren sitzt Abdullah Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali im Marmarameer, und es sieht auch nicht so aus, als würde sich das in absehbarer Zeit ändern. Obwohl Kurden aus der Türkei in Europa regelmäßig für seine Freilassung demonstrieren und er auch in der kurdischen Bevölkerung in der Türkei nach wie vor sehr populär ist, ist er immer noch weit davon entfernt, von einer türkischen Regierung als Verhandlungspartner akzeptiert zu werden.
Selbst die strenge Isolation, der er auf Imrali unterworfen ist, ist bislang, trotz gegenteiliger Versprechungen, noch nicht gelockert worden. Öcalan darf von Familienmitgliedern und seinen Anwälten in bestimmten Abständen besucht werden. Doch selbst diese zwei oder drei Besuche im Monat werden häufig verwehrt, zumeist mit Verweis auf schlechtes Wetter, weshalb dann angeblich das Verbindungsboot zur Insel nicht fahren könne.
Nachdem nun aber nicht nur kurdische Sympathisanten, sondern auch das Anti-Folter-Komitee des Europarates - die einzige neutrale Institution, deren Mitglieder Öcalan in den letzten zehn Jahren besuchen durften - in seinem letzten Bericht auf die massiven gesundheitlichen Beeinträchtigungen, die durch die Isolation hervorgerufen werden, verwiesen hat, sollen weitere Gefangene auf die Insel gebracht werden, um so etwas wie ein soziales Leben zu ermöglichen.
Doch trotz der rigiden Haftbedingungen ist es Öcalan bislang gelungen, über seine Anwälte in der kurdischen Arbeiterpartei PKK weiter großen Einfluss zu behalten. Insider berichten gar, ohne Apos Einverständnis (so wird Öcalan unter den Kurden genannt) gehe gar nichts. So entscheidet angeblich immer noch Öcalan, ob die PKK angreift oder sich eher zurückhält oder einen Waffenstillstand verkündet.
Am kompliziertesten ist sein Verhältnis zur legalen kurdischen Volkspartei DTP. Während die Generalstaatsanwaltschaft in Ankara gegen die DTP ermittelt, weil sie angeblich ein getarnter Ableger der PKK sei, werfen Öcalan und die PKK-Führung vielen DTP-Leuten vor, sie wollten eine Verständigung mit dem türkischen Staat auf Kosten der PKK.
Tatsächlich würde eine erfolgreiche Arbeit der DTP die PKK mehr und mehr zu einem Störfaktor machen. Deshalb haben Öcalan und seine Leute kein Interesse daran, dass echte Fortschritte für die kurdische Minderheit erreicht werden, solange sie nicht selbst mit am Tisch sitzen. Doch darauf wird Öcalan wohl noch lange warten müssen. Aber auch Nelson Mandela war 27 Jahre auf Robben Island interniert, bevor er plötzlich im Zentrum der südafrikanischen Politik stand.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Berliner Sparliste
Erhöht doch die Einnahmen!
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid