Zahnarztbesuch in Israel: Unter Orthodoxen
Wer sich in Beth Schemesch nicht auskennt, kann sich mitten im Viertel der frommen Extremisten wiederfinden. Es fehlt ein Warnhinweisschild für Nichtjuden.
"Die glotzen uns an, als seien wir Außerirdische", flüstert mein Sohn im Wartezimmer der Zahnarztpraxis von Beth Schemesch. Stimmt nicht, die Kinder glotzen. Die Eltern, allesamt ultraorthodoxe Juden, gucken demonstrativ in eine andere Richtung.
Mein Junge ist der einzige ohne Kipa, und ich als Frau in Hosen gelte als unkeusch. Vermutlich würden sie mich jetzt gern eine "Schickse" schimpfen und hätten damit sogar recht.
Wir wohnen auf dem Land, und Beth Schemesch ist die nächste Stadt. Zehn Minuten sind es mit dem Auto zum Supermarkt, zur Post, der Bank oder zum Zahnarzt - zehn Minuten in eine andere Welt. Die Sikrikim machen sich hier breit. Wer sich nicht auskennt, der kann sich mitten im Viertel der frommen Extremisten wiederfinden, die nicht nur Schicksen anspucken oder mit Steinen bewerfen. Was fehlt, sind Hinweisschilder wie: "Sie verlassen den weltlichen Sektor".
Die Zahnarztpraxis liegt im Grenzbereich. Die Gegend ist orthodox bis ultraorthodox, aber noch nicht extremistisch. Im Wartezimmer wird Jiddisch gesprochen. "Moischele, kimm", sagt ein Vater, als er an der Reihe ist. Und Moischele "kimmt" ohne Widerrede. Ein Punkt für die Praxis, denke ich zufrieden.
ist Israel-Korrespondentin der taz.
Der Lärmpegel liegt hier deutlich unter dem in Zahnarzt-Vorzimmern üblichen Geschrei. Außerdem ist die Behandlung billig, und im Schutz des weißbekittelten Personals haben auch Schicksen kaum etwas zu befürchten. Wir müssen uns trotzdem was anderes suchen. "Da gehen wir nie wieder hin", sagt mein Sohn und stellt klar, dass die Sache nicht diskutierbar ist.
Kaum zu Hause, klingelt das Telefon. "Brüder und Schwestern", meldet sich eine automatische Ansage und trägt den Geist derer, denen ich eben entkommen bin, in mein Wohnzimmer. "Nur eine Mutter kann unsere Not verstehen", geht es weiter, deshalb werde nächsten Freitag am Grab der Stammmuter Rachel "für die baldige Erlösung" gebetet werden.
Wer nicht kann, soll die 1 drücken. Da ich keineswegs ans Grab will, drücke ich folgsam die 1. Für sechs Raten à 90 Schekel oder auch 12 mal 45, erklärt jetzt eine menschliche Stimme, kann ich einen Segen plus Amulett zum Schutz gegen den bösen Blick erwerben, Lieferung frei Haus. Ich lehne dankend ab. Bei Schicksen funktioniert das sicher sowieso nicht.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Stellenabbau bei Thyssenkrupp
Kommen jetzt die stahlharten Zeiten?
Kinderbetreuung in der DDR
„Alle haben funktioniert“
Iran als Bedrohung Israels
„Iran könnte ein Arsenal an Atomwaffen bauen“