Zahlen, zahlen etc.: Goldene Zeiten für Aushilfen
■ Wann ist wieder Dienst-Tag? Oder: Wie sich Orchestertarife rechnen
Wenn festangestellte Geiger oder Cellistinnen ihren Instrumenten Töne entlocken, machen sie im Rahmen des bundesdeutschen Tarifwesens nicht einfach nur Musik. Sie leisten damit auch einen „Dienst“. Denn der „Dienst“ ist die Maßeinheit ihrer Bezahlung. Er umfaßt – so hat der Bayerische Oberste Rechnungshof Anfang der achtziger Jahre ausgerechnet – rund fünf Stunden. Drei davon entfallen auf Konzerte oder Proben, zwei verbleiben den MusikerInnen fürs heimische Üben – um der Fingerfertigkeit willen.
Basis dieses Rechenexempels waren die Arbeitszeiten im öffentlichen Dienst und die Bestimmungen des Tarifvertrags für OrchestermusikerInnen, der bis heute die Zahl von acht Diensten pro Woche festschreibt. Bei der Überprüfung mehrerer bayrischer Orchester legte der Rechnungshof diese Zahlen zugrunde und kam zu dem Ergebnis: die MusikantInnen kassieren zwar, aber sie arbeiten zu wenig. Mehr noch: im Verhältnis zu ihrem öffentlichen Dienst nahmen Nebentätigkeiten wie extra bezahlte Auftritte in fremden Orchestern, Quartetten und Trios überhand.
Die heimischen Orchester mußten dafür zunehmend Aushilfskräfte engagieren. Der Deutsche Städtetag sprach denn auch damals von „bedenklichen Fehlentwicklungen“ im Bereich der Musikvergütungen, der Arbeitszeit und Arbeitsleistungen und fürchtete um den „Erhalt unserer vielfältigen und beispiellosen Orchesterlandschaft“.
Zwei aktuelle Untersuchungen des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) der Stadt Köln am Beispiel des Gürzenichorchesters (auf Drängen der EMI firmiert es nach seiner Umbenennung für den japanischen Markt jetzt auch für die heimische Region zusätzlich als „Kölner Philharmoniker“) bestätigen die damaligen Trends auch für heute. Freilich mit einem Unterschied: von einer Korrektur des Finanzgebahrens mögen viele Hochkultur-Vertreter nichts mehr wissen. Manche(r) Kulturpolitiker(in) der Domstadt fürchtet bei Kritteleien an orchestralen Arbeitsgewohnheiten den Vorwurf des Banausentums. Schließlich mag bei derlei Nachrechnereien „eine erhebliche Portion Neid“ mit im Spiel sein, vermutet denn auch Nicolaus Hoffmann vom Vorstand des Kölner Rundfunkorchesters des WDR. Da zahlt man denn lieber und bekommt Klassisches zu hören.
Neidisch könnte man allerdings in der Tat werden, wenn man die Prüfungsergebnisse des Rechnungsprüfungsausschusses der Saison 1988/89 und von 1991/92 begutachtet. Im Gürzenichorchester – zuständig für Konzerte und die Kölner Oper – werden stillschweigend statt der tarifvertraglich vorgesehenen 64 „Dienste“ nur insgesamt 56 zugrunde gelegt. Die Direktion zeigte sich auch sonst großzügig. Tätigkeiten, die eigentlich als halber „Dienst“ einzustufen waren, wurden als ein ganzer Dienst berechnet. Auch unter den genannten Vorgaben waren selbst die fleißigsten Tutti-I.- Violinen nur mit rund siebzig Prozent der tarifvertraglich vorgesehenen „Dienste“ belastet, bei anderen Instrumentengruppen lag die Diensterfüllungs- Quote sogar nahe der Fünfzig- Prozent-Marke.
Zugleich wurde der bezahlte Urlaub (45 Tage) von der Direktion in der Spielzeit 1988/89 um sieben freie Tage verlängert, zwei Jahre später legte man nochmals drei dazu. Das alles natürlich bei vollem Lohnausgleich. Und die Aufstockung des so einmal erreichten 100-Prozent-Gehaltes des höheren öffentlichen Diensts war gleichsam einprogrammiert. Bezahlte Gastauftritte bei den anderen Orchestern der Region (Bonn, Düsseldorf, Wuppertal, WDR-Orchester Köln) brauchten erst gar nicht angemeldet zu werden. Die im Kölner Gürzenich benötigten Orchesteraushilfen wiederum kamen aus Bonn, Düsseldorf, Wuppertal usw.
Derlei zusätzliche Ausgaben stiegen im Laufe der Zeit von 425.000 DM (1988) auf 725.000 DM (1992). Zwischenzeitlich war schon einmal die 800.000-Grenze überschritten worden.
Von hohem Unterhaltungswert ist auch die Begründung, mit der 1985 das Gürzenichorchester/Kölner Philhamoniker vom Rat der Stadt auf 140 Planstellen aufgestockt wurde. Erklärtes Ziel war die Ermöglichung eines erweiterten Konzertbetriebes und Senkung der beschäftigten Aushilfskräfte auf ein Minimum. Galten damals die erreichten Planstellen ausdrücklich auch als Garant einer künstlerischen Qualitätssteigerung, sieht heute Orchesterdirektor Michael Kaufmann die Zahl als „ganz schlechten Mittelwert“ an: „In Spitzenzeiten zu wenig, in flauen Zeiten zu viele Leute.“ Das Kölner Orchester gehört zahlenmäßig zu den fünf größten Ensembles der Republik ...
Es sei zum Schluß aber nicht verschwiegen, daß die Kölner Orchesterkosten – wie anderswo – nicht nur systemische, sondern auch allzu menschliche Gründe haben. So reden zum Beispiel die beiden Spitzenverdiener, die für die Koordination der Auftritts- und Probentermine zuständig sind, nicht mehr miteinander. Sie sollen sich – so ein Insider – bei gemeinsamen Geschäften in den USA zerstritten haben.
Dadurch ist die Planung des Orchesteralltags – soll man sagen – komplizierter geworden? Aber der zuständige Kulturdezernent hat bereits Abhilfe angekündigt. Der neue Generalintendant werde schon mit dem neuen Generalmusikdirektor ins Gespräch kommen. Doch das Leben spielt anders: Jetzt – so ist zu hören – sprechen auch die beiden Generäle nicht mehr miteinander. Goldene Zeiten für Aushilfen. Wolfgang Hippe
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