■ Kommentar: Zahlen, die zählen
Statistiken, und sei ihre Methode noch so verläßlich, bilden die Wirklichkeit nicht ab. Es gelingt nicht, über Zahlen zu vermitteln, was es bedeutet, das Grundrecht auf Wohnen, Freunde, Familie, Job, schlimmstenfalls die eigene Würde verloren zu haben – eben: obdachlos zu sein. Ob die Behörde von 1200, 1400 oder gar doppelt so vielen Menschen ausgeht, die auf Hamburgs Straßen hausen, ist insofern irrelevant.
Vorsichtshalber wurde nur in den Einrichtungen gezählt, aber nicht dort, wo Menschen tatsächlich „Platte machen“. Wer institutionelle Hilfe nicht in Anspruch nimmt, oder wem von Drogeneinrichtungen geholfen wird, wurde nicht mitgezählt.
Die Ergebnisse der Studie bedeuten auch: Die bisherigen Maßnahmen und Hilfsangebote greifen zu kurz. Die Stadt wird sich fragen lassen müssen, wie sie mit ihrer gescheiterten Sozialpolitik umgehen will. Weitermachen wie bisher? Ein Teil der obdachlosen Menschen wird mit dem jetzigen Angebot schlicht nicht erreicht: U-Bahn-Schächte müßten beispielsweise geöffnet werden. Und die Obdachlosen, die die Institutionen nicht nutzen, können nicht einfach ignoriert werden nach dem Motto: Wer nicht gezählt ist, zählt nicht.
Die geschlechtsspezifische Zählung zeigt außerdem, daß Frauen, die in „verdeckter“ Obdachlosigkeit leben und aus Scham weder erreichbar noch sichtbar sind, bisher unberücksichtigt geblieben sind.
Trotzdem ist die bundesweit erste Studie dieser Art wichtig. Sie liefert eine erste Datenbasis, nach der immerhin Bedarfe formuliert und Forderungen gestellt werden können. Es darf nur nicht bei einer solchen Bestandsaufnahme bleiben. Heike Haarhoff
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen