Zahlen, bitte!: Das volle Kapitalismusgefühl
■ Die Bremer Sparkasse lädt zu einem hochrealistischen Börsenspiel per Computer - und hat schon gewonnen
Zu den liebenswürdigsten Äußerungen des Geschäftslebens gehört es, wenn harte Banckaufleute sich plötzlich, ja anfallartig vorgaukeln, sie könnten ihre Profite, anstatt sie zu verdienen, einmal im Leben einfach nur einsammeln. Die Bremer Sparkasse ist jetzt wahrscheinlich soweit: Neulich schickte sie an alle ihre Kunden ein Rundschreiben mit der Bitte, ihr 98 Mark zu geben.
„Machen Sie mit!“ hieß es in dem Brief, gezeichnet „mit freundlichen Grüßen: ihre Bank“. Weiter oben aber stand zu lesen: „Willkommen bei der Telefonbörse 1994“, denn den Bankkaufleuten war im Taumel der Vorfreude gerade noch eingefallen, warum nun überhaupt ein jeder der Sparkasse 98 Mark geben soll: Es handelt sich um ein Spiel, und zwar um ein Spiel, in dem man Börsengeschäfte simulieren kann. Wer mitmacht, erwirbt das Recht, einen Computer in Stuttgart anzurufen und diesem Computer fiktive Aktien, Rentenpapiere und dergleichen zu den wirklichen Tageskursen abzukaufen oder anzudrehen, je nachdem, und der Computer berechnet, wie das Geschäft ausgegangen wäre, wenn es wirkliche Aktien gewesen wären. 350 „Werte“ aus dem wahren Leben stehen der Glücksritterschaft zur Verfügung, von der AEG bis zur „Münchner Rück“, und die Kurse werden täglich aktualisiert.
Am 28. März geht das Spielchen los. Jeder Teilnehmer fängt mit fiktiven 150.000 Mark an, und wer nach zehn Wochen am meisten zusammenspekuliert hat, ist Sieger und kriegt zum Trost 5000 Mark, der zweite und dritte noch weniger, der vierte bis letzte gar nichts. Das heißt, es ist fast alles fiktiv bis auf die 98 Mark, die die Sparkasse wohlweislich dann schon längst eingesammelt hat.
Das Spiel läuft, auf daß es brumme, in mehreren Regionen gleichzeitig an, außer in Bremen zum Beispiel auch noch in Hamburg. Als Veranstalter tritt der großmächtige Sparkassenverlag in Stuttgart auf; dieser hat sich die Simulationssoftware besorgt und auf einem Mininetzwerk installiert, bestehend aus ein paar handelsüblichen PCs und sonst nichts. Zwar könnte man sich fragen, ob für dieses bißchen Aufwand der Preis von 98 Mark nicht etwas kühn bemessen sei, von den Ferngesprächsgebühren zu schweigen. Der Sparkassenverlag aber fragt sich nicht, sondern verweist darauf, daß man schließlich ein kleines Spielbuch mit den Regeln erhalte und außerdem zwei fiktive Kontoauszüge, für welche die Sparkasse die Portokosten übernehme.
Man sieht schon: Das wird ein Simulationsspielchen von enormer Baudrillardhaftigkeit, es blendet uns geradezu ein gewisser Schein von Gaunerglanz. Und wenn es ohnehin schon abgemacht scheint, daß wir kleinen Sparer die Dummen sind und bleiben, kann man auch gleich mitmachen und einmal das volle Kapitalismusgefühl genießen. Um also am Ende die Wahrheit zu sagen: Ihre Kulturredaktion, liebes Publikum, sammelt bereits Zehnmarkscheine, um mit dem dicken, dummen Redaktionscomputer „Franz Gans“ gegen die Leichtrechner der Sparkasse anzutreten, was ein Heidenspaß werden dürfte. Denn wo unser „Franz“ herumspekuliert, bleibt gewißlich kein Prozent auf dem anderen.
Manfred Dworschak
Auftaktveranstaltung: am 15.3. um 20 Uhr in der Bremer Wertpapierbörse
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