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Archiv-Artikel

ZYPERN: DER EU-BEITRITT KANN DER INSEL DEN FRIEDEN BRINGEN Zukunft statt Chauvinismus

Dreißig Jahre lang war Rauf Denktasch der unumstrittene Führer der türkischen Zyprioten. Egal, was passierte, egal, wie isoliert sein Land war, die Menschen haben ihn gewählt und wieder gewählt. Jetzt zerbröckelt seine Herrschaft innerhalb weniger Monate. Fast ein Drittel der zyperntürkischen Bevölkerung hat gestern erneut in der geteilten Hauptstadt Nikosia gegen Denktaschs Herrschaft demonstriert und seinen Rücktritt gefordert.

So etwas passiert, wenn ein alternder Machthaber seine antiquierten Rezepte der Herrschaft nicht modernisiert. Die Inkarnation des Bösen, so Denktasch, waren die griechischen Zyprioten, die die physische Existenz der türkischen Zyprioten auszulöschen drohten, sollte es zu einem gemeinsamen Staat kommen. Viele haben das, gestützt durch ihre eigenen Erfahrung von Bürgerkrieg und Massenmord in den 60er-Jahren, lange geglaubt. Sie haben Denktasch gewählt, nicht weil er ihnen eine blühende Zukunft versprach, sondern weil er als Garant für das Überleben erschien – auch wenn die Realität längst ganz anders aussah.

Doch jetzt lockt Europa. Bei einer Wiedervereinigung Zyperns würden die türkischen Insulaner über Nacht aus ihrem selbst gewählten Armenhaus erlöst. Der Norden Zyperns hätte als EU-Mitglied Anspruch auf enorme Strukturhilfen. Der wertlose Pass der international geächteten Türkischen Republik Nordzypern würde durch ein Dokument ersetzt, mit dem man überallhin reisen und egal wo arbeiten könnte. Hinzu kommt, dass die zyperngriechischen Nachbarn, bei näherem Hinsehen, gar nicht mehr als potenzielle Menschenfresser erscheinen. Es sind auch Zyprioten, die da eine gemeinsame Zukunft im Wohlstand anbieten. Was spricht da noch für Denktasch und die selbst gewählte Isolation? Nichts.

Europa hat den Prozess der Wiedervereinigung mit seiner Einladung an Zypern ausgelöst. Wie groß die Anziehungskraft der EU sein kann, zeigen die Demonstrationen. Ob der politische Prozess mit einer Lösung des 50 Jahre alten Zypernproblems gelingt, hängt in erster Linie von der Position der Türkei ab. Dreißig Jahre lang waren Denktasch und die Regierung in Ankara eins. Jetzt, wo auch die Türkei in die EU drängt und genau weiß, dass der Status quo auf Zypern eines der wesentlichen Hindernisse für eine Annäherung ist, steht der alternde Chef der Zyperntürken plötzlich isoliert da. Denn die neue Regierung in Ankara drängt auf seine Zustimmung zu einer bundesstaatlichen Lösung. Die eigene Bevölkerung hat sich emanzipiert und verlässt ihn. Nur die Militärs in der Türkei halten ihm noch die Stange. Die Chancen für ein antiquiertes, auf nationalem Chauvinismus basierendes System stehen nicht gut. KLAUS HILLENBRAND