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Archiv-Artikel

ZWISCHEN REIZÜBERFLUTUNG UND NAHKAMPF – MEXIKANISCHE MITTERNACHTSSUPPE IM CARGO Fremder Schweiß am Oberarm

Ausgehen und rumstehen

LAURA EWERT

Als nicht besonders großer Menschenfreund hat man es nicht so leicht auf diesen Partys. An Bars und vor Toiletten hört man ungewollt die schlimmsten Dialoge mit an, denn scheinbar müssen dumme Sätze nach einer ungeschriebenen Regel immer laut gesprochen werden. Ein Pärchen wirft sich beim Bestellen der Drinks gegenseitig auf peinlich entlarvende Weise vor, nicht der schnellste Checker zu sein.

Und schon steckt man drin im fremden Beziehungsdilemma. An Garderoben und an Eingängen muss man unbekannte Menschen berühren, elende Verzweiflung beim Preisfeilschen beobachten und auf penetranten Parfümdüften kauen. Ich vermute, dies und nur dies sind die Gründe, warum ich bitte immer auf der Gästeliste stehen möchte, meine Tasche in den Backstageraum legen und mein Bier von einer mir bekannten Tresenkraft bestellen möchte.

Die will sich doch nur wichtig vorkommen, werden Sie vielleicht vermuten. Nein, ich streite das ab. Ich versuche nur, den Sozialterror in der größten aller Sozialhöllen, dem Club, so klein wie möglich zu halten. Ich finde es nicht besonders cool den DJ zu kennen, aber ich finde es ungeheuer praktisch, sich hinter ihm verstecken zu können.

Spa der Hölle

Den Platz der sogenannten DJ-Kanzel dafür nutzen zu dürfen, lästigen Gesprächen aus dem Weg zu gehen, Jacken abzulegen und so der Garderobenschlange zu entkommen oder beim Tanzen einfach keinen fremden Schweiß am Oberarm spüren zu müssen.

DJ zu sein muss toll sein. Man kann so tun, als gäbe es viel zu tun, und hat überhaupt keine Zeit, sich zu unterhalten. Glücklicherweise hat man aber nicht nur als DJ die Möglichkeit, sich im Backstagebereich aufzuhalten. Das ist ja in den meisten Clubs der einzige Ort, an dem man es überhaupt aushalten kann. Der Spa der Hölle vielleicht.

Im Cargo, wo in der Freitagnacht das absolut erwähnenswerte HATE-Magazin seine fünfte Ausgabe feierte, gab es einen schützenden Container, in dem es schon vor zwölf mexikanische Mitternachtssuppe gab und zumindest bis zwölf einen extra Kühlschrank mit Getränken. Hat man einmal „in der Gastro“ gearbeitet, sieht man die Menschen auf den Partys als Kunden und nicht als potenzielle neue Freunde. Da kommt man schwer raus.

Also sitzt man lieber in total zugequalmten Räumen. Manchmal sogar ohne Fenster. Vorteil: Man muss nur ein paar Anhängsel-Mädchen ignorieren und kann sich ansonsten im geschützten Raum, mit mehr oder weniger gleichgesinnten Menschen, langsam annähern. Eine flüchtige Berührung ist auf der Tanzfläche ja überhaupt nicht kribbelig. Und nur im kleinteiligen Sozialgefüge kann der bedeutungsvolle Blick als solcher und manchmal auch noch mehr erkannt werden. Draußen herrscht Reizüberflutung. Drinnen herrscht Nahkampf. Aber wegen dem kommt man ja auch. Und selbst in den abgeschirmten Bereichen hat man es immer noch mit schwierigen Situationen zu tun. Da mischen sich plötzlich Schlagzeuger von Nachwuchs-Hip-Hop-Bands in die Freundeskreisrunde, und ehe man sich’s versieht wird die private After Hour mit zu vielen Gästen geplant. Also wird gerutscht und debattiert, wer denn nun bestimmt, wer noch mitkommen darf zur privaten Grenzerfahrung. Denn die Kuscheligkeit des Backstageraumes darf auf keinen Fall zerstört werden. Manchmal tut man deswegen so, als würde man direkt nach Hause gehen, um ungewünschte Menschen abzuschütteln. Das ist sehr gemein.

Warum man als nicht besonders großer Menschenfreund überhaupt auf Partys geht, fragen Sie sich nun? Weil man nur dort auf andere nicht besonders große Menschenfreunde trifft.