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Archiv-Artikel

ZWISCHEN DEN RILLEN Maximal Techno als Minderheitenposition

Todd Rundgren/ Emil Nikolaisen/ Hans-Peter Lindstrøm: „Runddans“ (Smalltown Supersound/ Rough Trade)

Ein Gegenentwurf zu Ambient: Jede Sekunde passiert unendlich viel

Was erwartet man von einem Album, das den Titel „Runddans“ trägt, für das drei Herren mit den Namen Lindstrøm, Rundgren und Nikolaisen verantwortlich zeichnen? Ringelpietz mit Hardangerfiedel und Nyckelharpa?

Nicht, wenn man weiß, wer diese Künstler mit den skandinavisch klingenden Namen wirklich sind und was sie bisher geleistet haben: Emil Nikolaisen ist Mastermind der norwegischen Neo-Psychedeliker Serena-Maneesh, die zwei hochgelobte Alben auf dem britischen Label 4AD veröffentlicht haben, Hans-Peter Lindstrøm gilt als wichtigster Vertreter des norwegischen Space Disco Sound und kollaboriert oft mit Prins Thomas und Todd Terje.

Todd Rundgren, nun ja, ist … Todd Rundgren – hyperaktive US-Pop-Ikone, wiewohl inzwischen 67 Jahre alt. In den Sechzigern Beatles-besessener Psychedeliker, in den Siebzigern visionärer Konzept- und Glam-Rocker, die ganze Zeit über auch Komponist hinreißender romantischer Pop-Balladen, all das oft gewürzt mit einem ganz eigenen Humor. Erfolgsproduzent, unter anderem von XTC, Patti Smith und Hall & Oates. Und unendlich vieles mehr. Kollaborationen waren eigentlich nie Rundgrens Ding, er ist ein klassischer Einzelkämpfer, der schon in den frühen Siebzigern seine komplexen vielspurigen Alben am liebsten ganz allein eingespielt hat. Umso ungewöhnlicher, dass er sich nun mit zwei Kollegen eingelassen hat, die ihm nicht als Erfüllungsgehilfen dienstbar sein wollen, sondern womöglich eigene Ideen umsetzen möchten.

Worauf sich das Trio geeinigt hat, ist eine Art Kommentar zum Rundgren’schen Musik-Universum: Prog-Drama, Harmonie-besoffenes Songwriting, fröhliche Ideenüberfülle, ergebnisoffene Elektronikexperimente, das Ganze dezent und respektvoll für heutige Ohren gebügelt und komprimiert.

Elektro-Pop wird hier zu seinen Ursprüngen in den Siebzigern zurückgeführt, als man elektronische Musik noch auf Keyboards spielen musste und die dafür geschulten Musiker meist eine Ausbildung in europäischer Klassik absolviert hatten – was man ihren Tastenautomatismen anhörte.Von der Dancefloor-Assoziation heutiger elektronischer Musikproduktion ist „Runddans“ denkbar weit entfernt. Man könnte das Album fast als Gegenentwurf zu Minimal und Ambient lesen, weil jede Sekunde unendlich viel passiert, mehrere musikalische Schleifen sich kanonartig überlagern und Entspannung beim Hören niemals eintritt – höchstens Erschöpfung, wenn man sich wirklich auf das Werk und sein Ideen-Feuerwerk eingelassen hat.

Und ein „Werk“ ist „Runddans“, nämlich eine Art Suite, ein einziges großes Stück, das ohne Punkt und Komma das Album füllt. Die auf dem Cover angegebenen Songtitel stehen für einzelne Abschnitte und Motive und erleichtern die Orientierung. Nicht alle Ideen sind gut beziehungsweise funktionieren: Das sinfonische Konzept mit seinen diversen wiederkehrenden Leitmotiven ist etwas vorhersehbar und vordergründig umgesetzt, der romantische Anteil mit seinen Beschwörungsformeln „Put your arms around me“ und „Put your love around me“ ist etwas dünn, die Todd-Solo-Choräle sind etwas beeinträchtigt durch den Rost, den sein tapferes Wikinger-Organ nach all den Jahren angesetzt hat.

Charme des Scheiterns

Andererseits könnte man auch zum Schluss kommen, dass dieses glorreiche Scheitern auch zum Charme des Projekts beiträgt. Ohnehin ist es ein Kennzeichen des Rundgren’schen Schaffens, lieber schnell zu arbeiten, als zu viel Zeit mit Polieren und Perfektionieren zu verbringen. Dazu ist sein Mitteilungsbedürfnis zu groß, fliegen ihm zu schnell zu viele Ideen zu, die raus müssen. Und man merkt, dass sich Rundgren, Nikolaisen und Lindstrøm auf dem Humor-Level verstanden haben: Nicht immer ist das Pathos ernst gemeint, immer wieder mal wird das Drama durch Übertreibung ironisiert, nehmen kleine Quatsch-Sounds dem Ganzen die Strenge. Man hört, dass die drei Künstler Spaß an der Arbeit hatten, und am Ende ist „Runddans“ auch ein lustiges Album geworden. Man mag einwenden, dass ihm eine Suppenkelle weniger Rick Wakeman und eine Prise mehr Carl Craig gutgetan hätte. Aber in einer Zeit, in der die Reduzierung auf „das Wesentliche“ gemeinhin als gut und erstrebenswert angesehen wird, in der Musik downgestrippt und von Ballast befreit zu sein hat, ist dieser Maximal Techno in jedem Fall eine erfrischende Minderheitenposition.

DETLEF DIEDERICHSEN