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Archiv-Artikel

ZWISCHEN DEN RILLEN Sicherheit trifft Unsicherheit

Waxahatchee: „Ivy Tripp“ (Merge/Wichita/PIAS)

Im Winter 2007 hat sich der Folkie Justin Vernon in die Jagdhütte seines Vaters in Fall Creek, Wisconsin zurückgezogen. Mit gebrochenem Herzen hat er dort Songs komponiert, die Tausende junge Männer dazu inspiriert haben, sich Holzfällerhemden überzustreifen und mit Falsettstimme zur Gitarre zu singen. Das Beeindruckendste, das diese Epigonen hervorgebracht haben, sind Vollbärte.

Im Winter 2011 hat sich die Musikerin Katie Crutchfield in das Ferienhaus ihrer Eltern am Waxahatchee Creek in Alabama zurückgezogen – mit mehrfach gebrochenem Herzen, verlassen von ihrer Zwillingsschwester Allison, mit der sie die Band P. S. Eliot hatte. Kurz vor ihrer Ankunft begann es zu schneien, in dem Häuschen überstand Crutchfield einen heftigen Schneesturm.

Abgewandt von der Welt

Elf Songs hat sie in jener Woche, als sie von der Außenwelt abgeschnitten war, mit Akustikgitarre aufgenommen – kratzige Miniatur-Juwelen, zögernd eingesungen und schließlich unter dem großartigen Titel „American Weekend“ veröffentlicht. Ihren Künstlernamen hat Crutchfield dem Entstehungsort entlehnt: Waxahatchee. Genreprägend wie Justin Vernon war Crutchfield damit nicht. Solch intime Aufnahmen, denen man die Dringlichkeit des Gefühls anhört und die Bedingungen ihrer Entstehung, sind rar.

Man sollte Katie Crutchfield daher konzentriert zuhören, auch auf ihrem nun erschienenen dritten Album „Ivy Tripp“. Darauf erzählt die 26-Jährige weniger, sie formuliert vor allem, und das zumeist toll. „Wenn ich einen Song schreibe, muss jedes Wort sitzen. Ich überarbeite alle Details wieder und wieder“, sagt Crutchfield der taz.

„Meine Texte erfüllen mich mit Stolz.“ Für den Song „In the Dirt“ textet sie „Loaded, you’ll eulogize before you will preach /Rubbing your filthy hands on my speech / My hedonistic sugar-white beach / And the grievance that I breed“, zu einem hüpfenden Schlagzeug, auf einem Teppich aus verzerrten E-Gitarren-Riffs, verziert mit sparsamen Akkorden auf der Akustischen.

„Mein Albumtitel ‚Ivy Tripp‘ steht für das Umherirren, das Leute in meinem Alter betreiben“, erklärt Crutchfield. „Es geht mir um die Frage, ob soziale Konstrukte die Menschen glücklicher machen: Heiraten, Kinder bekommen, das tun, was von einem erwartet wird. Ich glaube, dass uns weder das eine oder das andere ausfüllt.“

Entsprechend verloren steht Crutchfield auf dem Cover von „Ivy Tripp“ im herbstlichen Unterholz, blass lugt sie unter ihrem Ponyhaarschnitt hervor. In den Texten gibt es meist ein Gegenüber, zu dem sich die Sängerin verhält, auch wenn es noch so kompliziert ist. Das heißt, „Ivy Tripp“ klingt mehr nach der Verarbeitung privater Probleme als nach Statements einer Außenseiterin zur Befindlichkeit der eigenen Generation. Doch letztendlich steckt das eine im anderen: „Früher habe ich meine Stücke komponiert ohne Vorstellung, dass sie ein Publikum haben würden. Darum sind sie stets sehr persönlich geraten. Inzwischen versuche ich, allgemeingültiger zu klingen.“

Wenn man hört, wie stimmlich sicher Crutchfield über Unsicherheiten singt – nur begleitet von einem Billo-Synthie oder einem Klavier –, tut sich diese weite Landschaft zwischen Verzweiflung und Euphorie auf, in der die ganze Jugend Platz zu haben scheint. Eigentlich klingt „Ivy Tripp“ stärker nach Retrospektive, als dass die Songs das Ende einer Sinnsuche markieren. Als wüssten diese Lieder schon den Weg, den ihre Sängerin noch sucht. „Ivy Tripp“ handelt gleichzeitig vom Ende und vom Aufbruch. Und selten ist Pop stärker als in solchen Momenten.

DIRK SCHNEIDER

■ Live: 23. 5., Beatpol, Dresden; 24. 5. Maifeld Derby, Mannheim; 25. 5., K4, Nürnberg; wird fortgesetzt