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Archiv-Artikel

ZWISCHEN DEN RILLEN Leckerer Linksfuß Big Boi

Big Boi „Sir Luscious Left Foot: The Son Of Chico Dusty“ (DefJam/Universal)

Big Boi steht in der öffentlichen Wahrnehmung stets hinter seinem flamboyanten OutKast-Partner André 3000 zurück. Dass er als eigenständiger Rapkünstler aber zu Unrecht ignoriert wird, beweist sein Soloalbum „Sir Luscious Left Foot: The Son Of Chico Dusty“.

Die 15 Songs reihen sich musikalisch nahtlos ins OutKast-Oeuvre ein: Sie basieren auf harmoniegetriebenen Beats, bei denen sich manchmal schwer sagen lässt, ob die Melodien mit Samples gebaut wurden oder von Musikern im Studio eingespielt sind. Auf einer meist warmen und afrofuturistischen Klangwelle beweist der Rapper aus dem Dirty South, wie man die Südstaaten in OutKast-Kreisen nennt, seinen individuellen Flow. Der Track „Turns Me On“ wird zum Beispiel von einer am Rhodes-Piano gespielten jazzigen Harmonie getragen, während sein mehrstimmig gesungener Refrain eher Hitradio-kompatibel ist. Bei „Tangerine“ mit T.I. als Gastsänger ist es eine Gitarre, die Atmosphäre über die tribalistisch anmutende Perkussion legt.

André 3000s geniales Bonmot „shake it like a polaroid picture“ aus seinem Hit „Hey Ya!“ wird hier in der Hookline noch um den Ausspruch „shake it like a tambourine“ ergänzt. Beim mittleren Tempo von „Fo Yo Sorrows“ knarzen die Bässe schwer. Kein Wunder, Gast bei dem Stück ist P-Funk-Legende George Clinton. Auch in diesem Refrain ist es der unaufdringliche mehrstimmige Gesang, der die Hörer abholt. Big Bois Songs laden ohnehin zum Mitsingen ein. Oder auch zum Mitpfeifen: Der Refrain „The Train Pt.2“ wird von einer gepfiffenen Melodie begleitet. Das Konzept aus simplen Ideen und erhabenen Melodien einerseits und klanglicher Vielschichtigkeit andererseits misslingt eigentlich nur bei „Follow Us“, bei dem die Hookline zu kitschig geraten ist.

Mit OutKast hat Big Boi ja auch nie stereotypen Gangstarap produziert, sondern von Anfang an die Ränder entlanggeforscht und auf eingängige Songformate und analoge Instrumentierung gesetzt. Diese Haltung setzt sich hier fort und macht „Sir Luscious Left Foot“ auch für den Mainstream verdaulich. Gewidmet hat Big Boi die Songs übrigens seinem Vater, einem Angehörigen der US-Luftwaffe, der mit Spitznamen Chico Dusty hieß.

Aufgewachsen ist der 1975 geborene Antwan André Patton, so Big Bois bürgerlicher Name, allerdings bei seiner Großmutter auf dem Land in Georgia. Sie war es auch, die ihn mit der Musik von James Brown und Parliament infizierte. In seinen späten Teenagerjahren zog er nach Atlanta, wo er seinen OutKast-Partner André Lauren Benjamin kennenlernen sollte.

„Sir Lucious Left Foot: The Son Of Chico Dusty“ ist Big Bois Solodebüt. Obwohl das 2003 erschienene OutKast-Doppelalbum „Speakerboxxx“/„The Love Below“ eigentlich auch aus zwei Soloalben der beiden Musiker bestand. „Speakerboxxx“ war Antwans Teil, „The Love Below“ gehörte André. Fast alle Songs auf „Sir Luscious Left Foot“ kommen mit Stargästen, Rappern und Sängern aus, ausgerechnet eine Kollaboration mit André 3000 fehlt hingegen.

Die Pitbulls züchtet nun der Bruder

Das von beiden OutKast-Musikern für Big Bois Soloalbum produzierte „Royal Flush“ mit Wu-Tang Clan-Rapper Raekwon wurde bereits im März 2009 im Netz veröffentlicht und war damals auch bei den Grammy-Awards nominiert. „Ich habe den Song ins Internet gestellt, um das Interesse am Album zu entfachen“, erklärte Big Boi in einem Interview. „Mein Label brachte die Platte aber nicht heraus.“ Eigentlich war sein Album nämlich bereits für 2008 angekündigt, die Veröffentlichung wurde immer wieder verschoben. Vielleicht lag die Verzögerung auch an den vielen Überstunden von Big Boi. Zusammen mit André 3000 spielte er etwa in dem Film „Idlewild“ und in der Krimiserie „Law and Order“ mit. Auf seinem kleinen Label Purple Ribbon veröffentlicht er Künstler aus seinem Umfeld. Und mit dem Atlanta Ballet brachte er sogar ein „HipHop Ballet“ auf die Bühne, das auf eigenen Songs sowie Musik anderer Purple-Ribbon-Künstler basiert. Nur gut, dass er seine Pitbullzucht inzwischen an einen Bruder abgegeben hat. JAN KAGE