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ZWISCHEN DEN RILLEN

 ■  Ungeweihte Hostien

Hallelujah heißt die gerade erschienene LP der Happy Mondays. Andere nennen sich gleich „Die Sonntage“ - und werden prompt zur Pop-Hoffnung des Jahres gekürt. Wo man auch hinsieht, schießen Bands mit Namen wie Bad Religion, Jesus Jones, Christian Death, Die Kreuzen (kein Schreibfehler!) oder gar The Pale Saints aus dem Boden. Wird die Auseinandersetzung mit Religion, am Ende gar Religiosität selbst, zur ersten großen Mode des angebrochenen Jahrzehnts?

Das Musik-Business jedenfalls erwartet einen neuen Messias mit Schmerzen. Und das schon seit langem. Die Entdeckung der Sundays zum Beispiel fällt in eine Zeit, in der die Firmen noch verzweifelt auf der Suche nach einem Nachfolger für die Smiths waren. Der 'Melody Maker‘ hievte die Band aus Bristol aufs Titelblatt, ohne daß sie zu diesem Zeitpunkt auch nur eine einzige Single auf dem Markt gehabt hätte. Doch seither sind reichlich Monate ins Land gegangen, und auch bei empfindsameren Seelen ist der Schmerz über das Hinscheiden der Smiths vernarbt. Nun also eine ganze LP voll mit diesem unendlich weichen, feingesponnenen Zartpop. „Reading, Writing and Arithmetic“ - was man eben so treibt in der Provinz, wenn die Abende lang sind und der Hund mal wieder das Scrabble-Spiel verschleppt hat. Noch einen Tee, Darling? Some Cookies? Wie wär's mal wieder mit einem bißchen Arithmetik? So dehnt sich die Zeit hin, und ruckzuck sind zwei Plattenseiten vorbei. Britische Adoleszententristesse der gehobenen Sorte, die sich der großen Welt aus Gewissensgründen verweigert, aber immerhin noch so viel mit sich anzufangen weiß, daß sie die offenkundige Ereignislosigkeit des Lebens in filigranes Handwerk investiert, gewissermaßen mittels ihrer unaufhörlichen Veredelung über sich selbst hinaus will. Hin zu Gott? Ein bißchen ein sonntägliches Gefühl lassen sie schon zurück, diese Songs, und auch Harriet Wheelers beeindruckende Stimme ist mehr Sinnstiftung als Sex. Die kleinen Gefühlsausbrüche kommen kontrolliert, es ist, als strebten sie immer schon mit Macht einem inneren Beichtstuhl zu, um sich erst dort dem Ohr der Öffentlichkeit anzuvertrauen: „I kicked a boy“, „You're not the only one I know“, „A certain someone“ oder auch „My finest hour“.

Schwenk nach Australien. Russell Kilbey ist der jüngere Bruder von Steve Kilbey, seines Zeichens Sänger und Gitarrist der seit längerem aufgelösten australischen Band The Church. Russells eigenes Projekt The Crystal Set arbeitet sich auch an einer ähnlichen Problemstellung ab wie The Church: die Sounds der Byrds in die Gegenwart herüberzuretten, indem, entsprechend dem ohnehin nicht mehr zu definierenden Berechnungswinkel der Tradition, aller Aneignungswille in den einen, definitiv samtigen, sirrenden Gitarrengriff hineingelegt wird. Alles eine Frage des Glaubens. Das große Saiten-Klingeling ist sozusagen die Beschwörungsformel, mit der das historische Recht auch für diese Generation junger Bandrekruten erstritten werden soll. Gott der Gitarre, erhöre uns! Laß Inspiration sein in den Reihen der Deinen! Gib uns Spielfreude und öffne die wundersamen Wege der Distribution, auf daß unser Lied dringe in des Teenagers Ohr! Murmelmurmel, brabrabrabra! Wie The Church landen auch The Crytal Set im Rahmen ihrer Exerzitien oft bei einem wuchtigen Kathedralensound, der seine Ursprünge wie kleine Ikonen aus sich herausstellt. Man tritt ein und bekreuzigt sich zunächst erfreut. Ein gottesfürchtiges „Yeah“ liegt auf den Lippen. Mehr von diesem köstlichen Meßwein! Doch die Sünden der Epigonalität sind schon nach kurzer Zeit nicht mehr zu verheimlichen. Schade drum. Katergefühl deutet sich zwar keines an, aber der Heilige Geist will einfach nicht so recht kommen; so daß man auf Dauer in etwa so satt wird wie von einer ungeweihten Hostie - mal rein rockspirituell gesehen jetzt.

Die Pale Saints aus Leeds gehen noch einen Schritt weiter. Sie führen die Heiligkeit nicht nur im Namen; ihre erste LP The Comforts of Madness wurde auch (das Promo-Info erwähnt es mit Stolz) in einer umgebauten Kirche aufgenommen - den Londoner Blackwell Studios. Ist es Einbildung, oder hört sich das wirklich so an wie in hehrenen Gewändern gespielt? Die Stimme des Sängers Ian Masters schwebt über Arrangements, in denen die Gitarre druckvoll, alles in allem aber doch züchtig herumfuhrwerkt. Karg übt sich der Bass. Schlagzeugklänge schwellen irgendeiner fernen Erlösung entgegen. Nein, Paradiesvögel der Seele sind sie gerade nicht, die blassen Heiligen. Keine Message wird frech herausgeorgelt, kein Image drängt sich in den Vordergrund, alles fließt mit Geduld und Bestimmtheit dahin. Wahrscheinlich verkappte Pantheisten.

Thomas Groß

The Sundays: Reading, Writing and Arithmetic (Rough Trade)

The Crystal Set: Umbrella (Normal)

The Pale Saints: The Comforts of Madness (4AD)

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