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Archiv-Artikel

ZUM 21. JAHRESTAG DES VÖLKERMORDS AN DEN TUTSI IN RUANDA Brief an Präsident Hollande

Sehr geehrter Herr Präsident, am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocausts und des Völkermords an den Roma, waren Sie an der Schoah-Gedenkstätte und im KZ Auschwitz. Ihre Anwesenheit war richtig. Am 24. April, dem Gedenktag zum 100. Jahrestag des armenischen Völkermordes, werden Sie in Jerewan sein. Zweifellos werden Sie erneut die angemessenen Worte finden.

Am 7. April, dem Tag des Gedenkens an den Völkermord gegen die Tutsi in Ruanda 1994, der zwischen April und Juli eine Million Tote hinterließ, werden Sie nicht da sein. Sie werden nicht von der Wahrheit sprechen. Sie werden nicht den Weg der Klärung betreten, den Ihr Vorgänger eingeschlagen hatte, als er über die „schweren Irrtümer“ und die „Blindheit“ vor allem Frankreichs in Ruanda sprach und die Völkermordkammer am Hohen Gericht von Paris gründete. Seit 21 Jahren beherrscht das Schweigen den offiziellen französischen Diskurs; ein Schweigen, das vor einem Jahr zur Absage der offiziellen Anwesenheit Frankreichs beim Gedenken zum 20. Jahrestag des Völkermordes führte.

Herr Präsident: Wieso so unterschiedliche Umgänge mit diesen Völkermorden, diesen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die uns alle angehen? Wieso das Schweigen? Nicht die Wahrheit, sondern das Schweigen entehrt unser Land.

Nicht „Frankreich“ steht beim Völkermord gegen die Tutsi am Pranger, sondern eine Handvoll Menschen, rechte wie linke, die während der zweiten Amtszeit von François Mitterrand höchste Ämter innehatten. Gewisse Individuen verfolgten eine geheime Politik, spielen weiterhin eine politische Rolle und sind bis heute in unseren Institutionen präsent. Diese Politik wurde nie im Parlament und noch weniger in der Öffentlichkeit diskutiert; sie bestand in einer politischen, diplomatischen und militärischen Unterstützung aus Paris für Ruandas extremistische „Hutu Power“ – deren rassistischer, totalitärer und genozidaler Charakter dem französischen Staatsapparat bekannt war – vor, während und nach dem Völkermord.

Diese Tatsachen sind mittlerweile anerkannt, in offiziellen Dokumenten, journalistischen Recherchen, historischen Forschungen und dem französischen parlamentarischen Untersuchungsbericht zu Ruanda von 1998 niedergelegt. Derweil belastet das offizielle Schweigen zum Völkermord und zur Verantwortung einer Handvoll ehemaliger hochrangiger französischer Amtsträger die Grundpfeiler unserer Demokratie:

– Gerechtigkeit, vor allem da Frankreich einer Reihe von Völkermordverdächtigen Unterschlupf mit Straflosigkeit gewährt. Wir haben großes Vertrauen in die Fähigkeit der Justiz, über diese Leute und über gewisse Franzosen Urteile zu sprechen, aber es ist höchste Zeit, dass Frankreich entschlossen handelt.

– Transparenz in der Ausübung der politischen Macht und die notwendige Überholung der Beziehung zwischen Führern und Bürgern in unseren Institutionen, deren demokratischer Charakter nicht gewährleistet ist, wenn sie nicht auf der Grundlage der Wahrheit operieren.

– Gleichheit, die zum Bauernopfer wird, wenn Rassismus zuschlägt. Rassistisch gefärbte koloniale Vorstellungen erklären teilweise die geheime Politik gewisser Franzosen und ihre Gleichgültigkeit gegenüber dem Völkermord in Afrika. Dies ist ein dringendes Thema für die Beziehungen zwischen Frankreich und Afrika sowie für die Beziehungen zwischen Franzosen, von denen manche afrikanischen Migrationshintergrund haben.

– Und die Möglichkeit insbesondere für die Jugend sowohl hier als auch dort, in die Zukunft zu blicken.

Es ist jetzt 21 Jahre her, dass die Tutsi von Ruanda mit unvorstellbarer Gewalt überzogen wurden. Tausende von Kilometern entfernt weinen die Überlebenden um die Toten, auf den Hügeln oder in ihren Städten. Sie brauchen das Aussprechen der Wahrheit, um ihre Köpfe zu heben, um den Schmerz etwas zu lindern, um weiterzuleben, um weiter zu überleben.

Herr Präsident, um Frankreich und den Franzosen willen müssen Sie dieses Schweigen brechen und ganz klar die Wahrheit über den Völkermord an den Tutsi in Ruanda aussprechen.

Für die Unterzeichner: Benjamin Abtan, Präsident des European Grassroots Antiracist Movement (Egam)

■ Die komplette Liste der Unterzeichner auf www.taz.de/JahrestagRuanda

Der Aufruf erscheint auch in Libération (Frankreich), Le Soir (Belgien) und The New Times (Ruanda)