piwik no script img

ZK der KPdSU bremst Gorbatschow

■ Nach Beschlußlage der ZK–Konferenz: Veränderung des Wahlmodus frühestens 1988 möglich / Von den Breschnewfreunden muß nur Kunajew gehen, der ukrainische Parteichef bleibt / Verhaltene Reaktion in Osteuropa / Neues Deutschland zensiert TASS

Moskau( ap/dpa/taz) - „Die Infusion neuen Blutes in die Führung und die Ablösung von Funktionären“, die sich als ungeeignet für die Wahrnehmung neuer Aufgaben erwiesen haben, ist zum „wichtigsten Faktor der Reorganisation geworden“, heißt es in der Resolution des ZK der KPdSU zum Abschluß seiner zweitägigen Tagung am Mittwoch. Nur ganz allgemein erwähnt wird jedoch der von Gorbatschow gemachte Vorschlag einer Wahl unter mehreren Kandidaten bei der Beset zung der Parteigremien. Der Redakteur der Presseagentur Nowosti, Jewgeni Posdnajakow, bestätigte, daß es wegen der Frage des Wahlmodus zu einer Debatte im ZK gekommen sei.“Ich kann ihnen jedoch sagen, daß die Mehrheit der Anwesenden auf dem Plenum den Vorschlag unterstützte, sonst wäre er in der Resolution mit keinem Wort erwähnt worden“, erklärte Posdnajakow und fügte hinzu, daß eine solche Änderung nur durch Ergänzungen im Parteistatut erfolgen könnte. Solche Maßnahmen müßten bis zur 1988 geplanten Parteikonferenz. Auch in der Personalpolitik auf höchster Ebene konnte sich Gorbatschow nicht vollständig durchsetzen. Zwar wurde der schon als kasachischer Parteichef abgesetzte Kunajew nun auch aus dem Politbüro entfernt, doch der erwartete Rückzug des ukrainischen Parteichefs Schtscherbizki ist nicht erfolgt. Und dieser als Anhänger des Breschnew–Kurses titulierte Partei–Vorsitzende einer der wichtigsten Regionen der Sowjetunion, gilt als ein Bremsklotz für das Reformtempo Gorbatschows. Auch daß es Gorbatschow nicht gelungen ist, einen eigenen „Gefolgsmann“ als Nachfolger für Kunajew als Vollmitglied des Politbüros einzusetzen, spricht dafür, daß das Ergebnis der Tagung eher einen Kompromiß mit den Gegenkräften als einen Durchbruch für die Reformer bedeutet. Dagegen gelang es Gorbatschow, zwei seiner Vertrauten als ZK–Sekretäre zu bestellen. Der Breschnewanhänger Michail Simjanin mußte sein Amt niederlegen. Neu ins Sekretariat berufen wurden der Kandidat des Politbüros Nikolai Sljunkow und Anatoli Lukjanow, Chef der Allgemeinen Abteilung des Zentralkomitees. Die mehr als 300 ZK–Mitglieder stimmten Gorbatschows Forderung nach beschleunigten Wirtschaftsreformen und größerer Offenheit in der sowjetischen Gesellschaft sowie seiner Verurteilung der Verhältnisse in der Breschnew–Ära zu. Daß die theoretischen Konzepte des Sozialismus „weitgehend auf dem Niveau der 3oer und 40er Jahre“ stehengeblieben seien, wollte das SED–Zentralorgan „Neues Deutschland“ von Gorbatschows Rede nicht übernehmen. Auch der Hinweis, daß hohe Parteimitglieder ihre Autorität mißbraucht und manchmal zu Helfern oder Organisatoren „Krimineller Aktivitäten“ geworden seien, war in dem Blatt nicht zu finden. Dagegen brachte die CSSR Presse überraschenderweise den vollen Wortlaut der Rede. Auch in Polen und Jugoslawien nahm die Rede einen breiten Raum in der Presse ein. Zycie Waszawy sprach sogar von einem „revolutionären Charakter“ der Veränderungen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen