ZENTRALRAT DER JUDEN SCHIESST MIT ATTACKEN WEIT ÜBERS ZIEL HINAUS : Nicht jede Israelkritik ist Propaganda
Der Zentralrat der Juden hat letzte Woche Außenminister Steinmeier kritisiert, weil der vorsichtig angemahnt hatte, dass Israel im Libanon verhältnismäßig agieren solle. Dann griff der Zentralrat Entwicklungsministerin Wieczorek-Zeul scharf an, weil sie die Bombardierung libanesischer Zivilisten für „völkerrechtlich inakzeptabel“ hält. Wieczorek-Zeuls These sei „antiisraelische Propaganda“, daher müsse die Ministerin zurücktreten.
Es ist selbstverständlich, dass jüdische Deutsche angesichts der Eskalation in Nahost um Israel fürchten. Für manche jüdische Deutsche ist Israel (auch ohne die Rhetorik des Wir-sitzen-auf-gepackten-Koffern) eine legitime Rückversicherung, an deren Existenz sie ein vitales Interesses haben. Trotzdem ist es töricht, atemlos jede Kritik an Israel zu antiisraelischer Propaganda zu stempeln. „Antiisraelische Propaganda“ mag die Hamas machen – Wieczorek-Zeuls Hinweis, dass das Völkerrecht die Vertreibung von Hundertausenden wegen der Entführung von drei Soldaten nicht legitimiere, ist ein Argument, keine Propaganda.
Es geht, wohlgemerkt, nicht um die Privatansicht jüdischer Deutscher. Michel Friedman schrieb kürzlich, dass die Inhaftnahme libanesischer Zivilisten für die Taten der Hisbollah „das Mindeste ist“, was das Völkerrecht Israel erlaubt. Diese Idee wirft ein eher trübes Licht auf den Juristen Friedman – aber es ist die Ansicht einer Privatperson. Etwas anderes ist es, wenn der Zentralrat der Juden zu so steilen Formulierungen greift. Er ist die von der Bundesregierung in einem Staatsvertrag anerkannte Vertretung jüdischer Deutscher. Wäre es da nicht klug, etwas sparsamer mit Rücktrittsforderungen an Minister zu sein, die es an Begeisterung für die Militärpolitik Israels mangeln lassen?
Es gibt gute Gründe, an der Weisheit der israelischen Regierung zu zweifeln – auch weil die Bombardierungen sich als ungewollte Rekrutierungshilfe für die Hisbollah erweisen könnten. Der Zentralrat wäre gut beraten, wenn seine Stellungnahmen nicht genauso klingen wie die des israelischen Regierungssprechers. STEFAN REINECKE