ZDF-Drama "Ich habe es dir nie erzählt": Verliebt in den Feind
Suchtprobleme, Romanzen & Familienkonflikte: In "Ich habe es Dir nie erzählt" geht es ums große Ganze. Die Schauspieler retten das übertriebene Drehbuch (20.15 Uhr, ZDF).
Keine drei Wochen ist es her, da lief bei Arte der Film "Mein eigen Fleisch und Blut". Die Hauptrolle spielte Veronica Ferres, der man nicht zu nahe tritt, wenn man sagt, dass schauspielerische Zwischentöne nicht ihre Sache sind. Wie in allen Ferres-Filmen oblag es mal wieder dem Drehbuch, der Hauptdarstellerin das ganze Gewicht dieser Welt auf die Schultern zu legen.
Die Verfasserin des in diesem Sinne gewichtigen Drehbuchs heißt Britta Stöckle, und sie hat auch das Skript zu "Ich habe es Dir nie erzählt" geschrieben, der heute Abend im ZDF läuft. Was zunächst erstaunt, denn dieser Fernsehfilm ist so anders als "Meine eigen Fleisch und Blut", so aus dem Leben gegriffen. Vergleichsweise - vieles ist dann doch wieder ein bisschen dick aufgetragen.
Muss etwa die weibliche Hauptfigur, Frau Schön, erst einen Selbstmörder finden, retten, der dann sagt, "Wie kann man nur so tief sinken als Anwalt!", um dann selber zu sagen: "Alkoholiker ist Alkoholiker. Glauben Sie mir. Es gibt da leider gar nichts, was mir noch nicht untergekommen ist." Frau Schön hat also Vorbehalte gegen Alkoholiker, die haben andere Menschen auch, es scheint aber wichtig, dass Frau Schön es einmal explizit sagt.
Und natürlich lernt die alleinerziehend ledige Frau Schön dann umgehend den netten, geschiedenen Andi Jannings kennen, der ihr am zweiten gemeinsamen Abend sagt: "Du hattest so toll gekocht gestern. Aber ich trinke keinen Tropfen. Nicht mal in der Spagettisauce. Ich bin Alkoholiker." Dann stellt Jannings die folgenreiche Frage: "Und was machst du beruflich?" Sie, ahnungsvoll zögernd: "Gerichtsvollzieherin." Er, verblüfft zögernd: "Du ziehst den Leuten das letzte bisschen aus der Tasche, was Sie noch haben?!"
Der Alki und die Gerichtsvollzieherin, was für ein Pärchen! Und was für eine Möglichkeit, hätte der Film sich nur auf ihre zarte Romanze beschränkt. Müsste es nicht am Ende doch wieder ums große Ganze gehen, Mutter-Tochter-Drama, Lebenslügen - Leichen im Keller. Irgendwann steht der Gerichtsvollzieher bei Jannings vor der Tür, natürlich ist es Frau Schön, wir sind im Fernsehfilm. "Prime-Time-relevanten Realismus" nennt das das Presseheft.
Massive Körperlichkeit
Was soll's. Was den Film sehenswert macht, sind seine von Regisseur Johannes Fabrick mit lässiger Routine geführten Schauspieler. Der Film ist bis in die kleinsten Nebenrollen hervorragend besetzt. Mit Darstellern, die die Klaviatur der Zwischentöne schätzen und beherrschen. Zum Beispiel mit Monika Baumgartner als gemeinsame Freundin, mit Hansa Czypionka als Frau Schöns Exmann, mit Irina Kurbanova als ihre Tochter.
Frau Schön wird gespielt von Barbara Auer, die seit 1988, seit "Der Boss aus dem Westen", regelmäßig im Fernsehen zu sehen ist. Sie kann, wenn das Drehbuch sie lässt, authentisch und ergreifend spielen.
Den Andi-Jannings-Darsteller Roeland Wiesnekker kennt man noch nicht so lange. Der Schweizer mit dem niederländischen Namen machte 2004 ausgerechnet in einem auf Schweizerdeutsch gedrehten Kaputter-Cop-Drama - "Strähl" - auf sich aufmerksam, überzeugte - als trinkender, kaputter Cop - in dem ambitionierten Sat.1-Quoten-Flop "Blackout - Die Erinnerung ist tödlich", gab eine schön kaputte Gangster-Karikatur in "Mörder auf Amrum".
In seiner massiven Körperlichkeit erinnert er irgendwie an Josef Bierbichler. Wie dieser kann Wiesnekker den verbitterten Sack und den strahlenden Jungen in eine einzige Rolle packen. Zwischentöne halt. Seine Figuren sind echte Menschen - das ganze Gewicht der Welt auf ihren Schultern ließe sie sofort zusammenbrechen.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Jens Bisky über historische Vergleiche
Wie Weimar ist die Gegenwart?
Krieg und Rüstung
Klingelnde Kassen
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird