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Archiv-Artikel

YOANI SÁNCHEZ POLITIK VON UNTEN Scheinehe gegen die kulinarische Zwangsjacke

Humberto verkauft in seinem Restaurant in Havanna unter der Hand Langusten und Rindfleisch. Fast hätte er auch noch einen Spitzenkoch in den Familienbetrieb geschummelt

Gemäß den strikten Regeln von Kubas sozialistischer, zentral geplanter und subventionierter Wirtschaft wurde selbstständige Arbeit immer als eine Art Plage betrachtet, die von Zeit zu Zeit zurückgedrängt – wenn nicht gänzlich ausgerottet – werden muss.

Auf Kuba hatten kleine private Läden, Bars, Restaurants, Kioske, Reparaturwerkstätten eine lange Tradition. In der langen Nacht des 13. März 1968 verschwanden sie – in dem Moment, als Fidel Castro eine „revolutionäre Offensive“ proklamierte, die sie allesamt verstaatlichte. Mitte der Siebzigerjahre gab es erste, winzige Öffnungen, aber erst 1994 wurde die Arbeit auf eigene Rechnung und die Eröffnung von Privatgeschäften in größerem Umfang erlaubt. Das Land füllte sich mit Lokalen, in denen man ein Schweinesteak oder eine Pizza Napoletana essen konnte.

Die enge Zwangsjacke, die jegliche Kreativität abschnürte, begann sich zu lockern. Überrascht und erfreut betrachteten wir, wie sich unsere Stadt mit kleinen Lädchen und Wohnungsrestaurants füllte. Lange hielt die Euphorie aber nicht an, denn angesichts hoher Steuern, Einschränkungen bei der Beschäftigung von Angestellten und einer langen Liste von Produkten, die vom Verkauf ausgenommen waren, machten viele dieser Geschäfte bald wieder dicht.

Vor ein paar Tagen verkündete nun Präsident Raúl Castro, dass die Aktivität der Arbeiter auf eigene Rechnung einen neuen Impuls bekommen soll – mit weiter gefassten Verkaufslizenzen und flexibleren Mechanismen bei der Anstellung.

Mein Nachbar Humberto atmete erleichtert auf. In seinem Privatrestaurant bietet er ein Dutzend Gerichte unter der Hand an. Nur wenige wissen, dass auf den Tischen mit weißen Decken und glänzendem Besteck auch Langusten, Garnelen oder Rindfleisch serviert werden. Drei Lebensmittel, deren unangemeldeter Verkauf vom Staat verfolgt wird und lange Haftstrafen bedeuten kann. Deswegen stehen sie auch nicht auf der Speisekarte.

Sieht aber ein Gast vertrauenswürdig genug aus, flüstert Humberto ihm ins Ohr, welche verbotenen Genüsse vor den Inspektoren versteckt in der Küche warten. Weil ihm das Gesetz bislang untersagte, Nichtfamilienmitglieder zu beschäftigen, versuchte er gerade, seine Tochter von der Scheinehe mit einem Spitzenkoch zu überzeugen, der seinen Job in einem Hotel aus Mangel an Touristen verloren hatte. Als er mitbekam, dass seine Tochter plante, mit ihrem Freund zu türmen, zog er die dramatische Entscheidung in Betracht, seine Lizenz zurückzugeben und vom Herd auf ein illegales Taxi umzusatteln. Jetzt haben ihm die Worte des Präsidenten Hoffnung gemacht, dass es vielleicht doch nicht nötig sein wird, die Tochter mit dem Koch zu verheiraten. Wer weiß, vielleicht darf er dank der neuen Flexibilisierung bald auch noch die verbotenen Waren offen anbieten, die seine Küche verbirgt.

Die Autorin ist Bloggerin aus Havanna Foto: dpa