Wutbürgerin Isabel lott : Wenn Babys zu Airbags werden
Sicherheitsfanatiker sind eine Lachnummer, klar: Diese Helmträger auf dem Fahrrad mit Warnweste, die sie auch ihren Kindern auf dem Spielplatz verpassen. Aber die Gegenbewegung ist gar nicht witzig. In meine gentrifizierten Viertel werden die Kinder nämlich transportiert, als wären die Straßen in der Großstadt einsame Feldwege.
Der Wahnsinn fängt schon damit an, dass sie, das Baby auf den Bauch geschnallt, telefonieren und rote Ampeln ignorieren. Im Ernstfall würde das Kind als Airbag enden. Einen Kindersitz zu kaufen ist bei dieser Gruppe auch nicht angesagt – uncool, also werden die Kleinen auf die Fahrradstange oder den Gepäckträger gepackt. Damit kenne ich mich aus. Niemals wäre ich früher mit so einem Sitz durch die Gegend geradelt, wenn das Kind zu Hause war. Ich wollte ja nicht so muttimäßig rüberkommen.
Das Verantwortungsgefühl dieser Leute scheint sich auf die Ernährung zu beschränken. Vor Bioläden entdecke ich häufig Kinder, die, festgeschnallt auf dem Fahrrad sitzend, an die Wand gelehnt werden, damit ihre Mutter schnell was Gesundes kaufen kann. Aber wie ungesund kann es sein, mit dem Kopf auf den Bürgersteig zu knallen?
Bei meiner letzten Begegnung hätte mir eine dieser Frauen gerne ihre pestizidfreie Gurke übergezogen. Klar freut die sich nicht, wenn ich sie mit den Worten empfange, wie blöd man eigentlich sein muss, um so etwas zu machen. Aber mit Einsicht ist nicht zu rechnen. Auch nicht seitens des jungen Mannes in Outdoorjacke, der seinen heulenden Sohn anschnauzt, weil der sich den Fuß in die Speichen geklemmt hat. Als ich ihm verdeutliche, dass es sich hier um vorsätzliche Körperverletzung handelt, wird es ganz unlässig. Mein Angebot, den Vorfall mit der Polizei zu besprechen, kontert er mit dem Angebot, mir die Fresse zu polieren, und macht sich aus dem Staub.
Das war einer der Momente, in denen ich es bereue, dass ich so oft das Training der feministischen Kampfgruppe geschwänzt habe.
■ Hier wüten abwechselnd Isabel Lott und Kai Schächtele