Wunschzettel: Ein Leben ohne Existenzangst
Eine Kirchengemeinde wollte wissen, was sich sozial schwache Marzahner wünschen, und startete eine Umfrage. Jetzt liegen die Antworten vor.
Was wünschen sich sozial schwache Menschen? Eine Kirchengemeinde in Marzahn wollte es wissen und hatte im September die Teilnehmer einer Lichterkette gegen Armut und Ausgrenzung und für ein bedingungsloses Grundeinkommen danach gefragt. 107 Menschen aus Marzahn-Nord, einem Gebiet mit Quartiersmanagement und einem hohen Anteil von russlanddeutschen Spätaussiedlern, haben die anonymen Wunschzettel beantwortet. Rechtzeitig vor Weihnachten - dem Fest der Wünsche - legt die Kirchengemeinde die Antworten der nicht repräsentativen Umfrage vor.
Dabei gibt es einige Überraschungen. "Nein, Lottomillionen, Sportwagen und Kreuzfahrten sind nicht das, wovon Marzahner Bürger träumen", sagt Brigitta Schauer von der Kirchengemeinde. "Dabei wäre auch dies durchaus legitim, wenn man anonym seine Zukunftsträume auf ein Blatt Papier notieren kann."
Die Wünsche der Marzahner sind bescheidener. Sie wünschen sich etwa eine Arbeit, von der man leben kann, eine bedarfsdeckende Rente, bezahlbare Mieten, genug Geld für die Bildung der Kinder sowie für Medikamente und einen Urlaub. Kurzum: ein Leben ohne Existenzangst. "Das widerlegt beispielsweise die These vom sogenannten Sozialneid", betont Brigitta Schauer.
Sehr häufig haben sich die Marzahner aber auch Dinge gewünscht, die man nirgendwo kaufen kann. Unter diesen immateriellen Wünschen nehmen die nach einer erfüllten und glücklichen Partnerschaft den größten Raum ein. So klinge oft Wehmut über Alleinsein und Einsamkeit durch die Zeilen, sagt die Frau von der Kirchengemeinde. Und ein Marzahner wünscht sich nichts sehnlicher als die Wiedererlangung der verloren gegangenen Gesundheit.
Kaum vorhanden waren hingegen Wünsche nach dem Erhalt der natürlichen Ressourcen und der Umwelt. Für die Kirchengemeinde unverständlich, "ist es doch hier fünf vor zwölf".
Bei Spätaussiedlern und Migranten steht ein Leben ohne Fremdenhass ganz oben auf dem Wunschzettel. Menschen sollen sich unabhängig von ihrer Herkunft frei entfalten können, heißt es auf einem Wunschzettel. Auch Frieden zählte zu den Wünschen, vor allem bei älteren Menschen, die den Krieg oder den Hunger der Nachkriegszeit noch erlebt haben. Aber auch Zwischenmenschliches ist für ältere Menschen wichtig: Sie wollen mit ihren Erfahrungen noch gebraucht werden; in den Familien soll wieder ein liebevoller Ton einziehen. So stand auf einem Wunschzettel: "Auch im öffentlichen Raum könnten sich die Leute doch einfach anlächeln."
Und auch ein solidarischeres Gesellschaftsmodell hat die Kirchengemeinde auf vielen Wunschzetteln gelesen. Brigitta Schauer: "Es geht um eine Gesellschaft, in welcher der Mensch mit seinen Fähigkeiten das Maß aller Dinge ist und nicht Gewinn und Profit." Dafür sind die Marzahner auch bereit, sich mehr als bisher einzubringen. Arbeitslose wollen gebraucht werden.
Die Kirchengemeinde hatte gemeinsam mit Parteien und Vereinen in Marzahn einen runden Tisch gegen Armut und Ausgrenzung ins Leben gerufen und will jedes Jahr im September eine Lichterkette veranstalten. Pfarrerin Katharina Dang sieht im Marzahner Norden Bedarf, sich dem Thema anzunehmen. "Eine Frau aus meiner Gemeinde sprach mich beispielsweise an, warum wir Geld für Briefporto ausgeben. Sie könne doch die Post mit ihrem Fahrrad austragen; so würden wir Porto sparen." Solche Beispiele machten sie nachdenklich. Vielen Menschen wäre ihre Armut peinlich; sie würden sich in ihren Wohnungen vergraben. "Die wollen wir erreichen und sie nicht den rechten Parteien überlassen."
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