■ Wühltisch: Regressives Design
Unsere Zugehörigkeit zur Toskana-Fraktion streiten wir gar nicht ab. Wir lieben den Orangensaft frischgepreßt, den Wein trocken sowie Gemüse und Pasta al dente. Fettspeisen kommen nicht auf den Tisch, und auf den Tellern herrschen schon aus ästhetischen Gründen klare Verhältnisse. Aus der cestino rotondo a filo quellen Weintrauben, und auf dem Gasherd signalisiert der bollitore mit einem sinnlichen Pfeifen das Kochen des Wassers.
Der geträumte Vögelchen- Aufsatz am Ausguß, das hätte uns schon früher stutzig machen müssen. Aber wir waren zu sehr damit beschäftigt, die gesamte Küche samt Ivar und Ditte zu entelchen. Nie wieder Ikea. In die Regale zog die kühle Ordnungt italienischen Designs ein – alles Alessi. Obwohl ich gar keinen Zucker zum Kaffee nehme, liebe ich die Zuccheriera rotonda über alles. Schon das Aufklappen des Deckelchens bereitet Freude. Alle Butterdosen aus Plastik wurden entfernt und durch die Portaburro con coperchio ersetzt.
Im Jahre 1921 eröffnete Giovanni Alessi Anghini eine Plattendreherei mit Gießerei in Bagnella/Omegna. Das berühmte „programma 1“ bestand aus Kaffeekannen und verschiedenen Tischzubehörteilen. Zunächst experimentierte man mit rostfreiem Stahl, später verwendete Alessi versilbertes und verchromtes Messing, Edelstahl und Gußaluminium. Kernstück des „programma 4“ von 1962 ist piatto da portata, eine spiegelglatte Speisenplatte, die die Nahrungsmittelpräsentation auf beinah religiöse Weise vergeistigt. Der Aschenbecher posacenere con spirale hätte uns fast dazu verführt, wieder mit dem Rauchen anzufangen.
Mit seiner jüngsten Produktidee begeht das Haus Alessi allerdings Verrat. Unter designerischen Originalitätszwang gestellt, wartet man mit einer kleinen Elektrogerätekollektion auf. Ein Thermo-Kaffee-Automat mit Warmhalteplatte, eine Orangenpresse, ein Wasserkocher und ein Toaster. Runde, bauchige Formen in Cremefarben, Kuscheldesign statt bekannter Alessi-Nüchternheit. Die verpuppten Geräte erinnern an die überdimensionalen Toaster, die man aus amerikanischen B-pictures kennt. Wie kleine Küchen- Atomkraftwerke nehmen sie unendlich viel Platz weg. Dabei bräunen sie nur Weißbrot – und das noch nicht mal besonders gut.
In der Küche lauert die Regression, laut Duden eine „Reaktivierung entwicklungsgeschichtlich älterer Verhaltensweisen bei Abbau oder Verlust des höheren Niveaus, z.B. das Zurückfallen auf frühere, kindliche Stufen der Triebvorgänge.“ Seit geraumer Zeit werden immer mehr Industriewaren rund und knuffig. Wir interpretieren mit Trendforscher Horx: „Runde Formen assoziieren Geschlossenheit, Einigeln, Konsens, Geborgenheit, Sehnsucht nach Wärme, Nest, Ei. ,Rundwerdung‘ ist also immer auch ästhetisches Cocooning“, laut Horx Indiz für eine kollektive Weigerung, Verantwortung zu übernehmen.
Die Entelchung der Küche war ein politischer Akt, jetzt droht Korruption aus der Italienisierung. Alessi tarnt sich mit seiner neuesten Kollektion in peinlichem Kollektivismus. Die klobigen Elektrogeräte sind aus einer Kooperation mit dem Elektrokonzern Philips hervorgegangen. „Alessi meets Philips“ heißt es in eher ungeschicktem Pop-Jargon. Wir werden noch lange an den siebziger Jahren zu knabbern haben, Prosecco hin, Grappa her. Harry Nutt
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